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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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Andrejewna nicht im Stich, mein Teuerster! Laß sie nicht im Stich, nein? Wirst du sie nicht im Stich lassen?«
    »Nein, ich werde sie nicht im Stich lassen.«
    »Gib mir dein heiliges Ehrenwort, daß du nicht zu ihnen hineinlaufen und nicht aufschreien wirst, wenn ich dich da hinstelle!«
    »Ich schwöre es bei meiner Ehre, Darja Onissimowna!«
    Sie faßte mich am Rock, führte mich in ein dunkles Zimmer neben dem, in welchem sie saßen, führte mich kaum hörbar über den weichen Teppich an die Tür, stellte mich unmittelbar neben die zugezogene Portiere und zeigte mir die beiden, indem sie ein ganz kleines Eckchen der Portiere aufhob.
    Ich blieb stehen, und sie ging weg. Natürlich blieb ich stehen. Ich war mir dessen bewußt, daß ich horchte, ein fremdes Geheimnis belauschte, aber ich blieb stehen. Wie hätte ich denn auch nicht stehenbleiben sollen; ich dachte an den Doppelgänger. Hatte er doch schon vor meinen Augen ein Heiligenbild zerschlagen!

IV
     
    Sie saßen einander an demselben Tisch gegenüber, an welchem ich mit ihm zwei Tage vorher auf seine »Wiedergeburt« getrunken hatte; ich konnte ihre Gesichter vollständig sehen. Sie trug ein einfaches schwarzes Kleid und war schön und anscheinend ruhig wie immer. Er redete, und sie hörte ihm mit außerordentlicher, zuvorkommender Aufmerksamkeit zu. Vielleicht war ihr eine gewisse Ängstlichkeit anzumerken. Er seinerseits befand sich in furchtbarer Aufregung. Bei meiner Ankunft war das Gespräch schon im Gange, und daher konnte ich eine Zeitlang nicht daraus klug werden, ich erinnere mich, daß sie plötzlich fragte:
    »Und ich war die Ursache?«
    »Nein, die Ursache war ich«, antwortete er, »Sie waren nur ohne Ihre Schuld daran schuld. Sie wissen, daß man ohne seine Schuld an etwas schuld sein kann? Das sind dieunverzeihlichsten Verfehlungen, und sie finden fast immer ihre Strafe«, fügte er mit einem seltsamen Auflachen hinzu. »Und ich habe wirklich einen Augenblick lang gedacht, ich hätte Sie ganz vergessen, und lachte tüchtig über meine dumme Leidenschaft ... aber das wissen Sie. Indessen: was geht mich der Mensch an, den Sie heiraten wollen? Ich habe Ihnen gestern einen Antrag gemacht; verzeihen Sie diese ... diese Torheit, ich konnte sie jedoch auf keine Weise vermeiden; was hätte ich anders machen können als diese Torheit? Ich weiß es nicht ...«
    Hier lachte er verlegen und hob auf einmal die Augen zu ihr auf, denn bis dahin hatte er beim Reden zur Seite gesehen. Wenn ich an Katerina Nikolajewnas Stelle gewesen wäre, ich hätte über dieses Lachen einen Schreck bekommen, das fühlte ich. Er stand plötzlich von seinem Stuhl auf.
    »Sagen Sie, wie konnten Sie einwilligen, hierherzukommen?« fragte er, als ob ihm jetzt erst die Hauptsache einfiele. »Meine Aufforderung und mein ganzer Brief waren töricht ... Oder warten Sie einmal: ich kann es noch verstehen, wie es zuging, daß Sie einwilligten herzukommen, aber warum Sie wirklich gekommen sind, diese Frage kann ich mir nicht recht beantworten. Sind Sie wirklich nur aus Furcht hergekommen?«
    »Ich bin hergekommen, um Sie wiederzusehen«, erwiderte sie und sah ihn mit einem Blick voll ängstlicher Vorsicht an. Beide schwiegen etwa eine halbe Minute lang, Wersilow ließ sich wieder auf den Stuhl sinken und begann mit sanfter, aber ergriffener, fast zitternder Stimme:
    »Ich habe Sie furchtbar lange nicht gesehen, Katerina Nikolajewna, so lange, daß ich es beinahe nicht mehr für möglich gehalten hätte, jemals wieder wie jetzt neben Ihnen zu sitzen, Ihr Gesicht zu betrachten und Ihre Stimme zu hören ... Zwei Jahre lang haben wir uns nicht gesehen, zwei Jahre lang nicht miteinander gesprochen. Ich hätte nicht gedacht, daß ich jemals wieder mit Ihnen sprechen würde. Nun, mag es sein: was vergangen ist, ist vergangen, und was ist, das wird morgen verschwinden wie Rauch – mag es! Ich habe nichts dagegen, weil ich auch hier wieder nichts daran ändern kann, aber lassen Sieunsere jetzige Zusammenkunft nicht ganz fruchtlos sein«, fügte er in beinahe flehendem Ton hinzu. »Wenn Sie mir schon durch Ihr Kommen ein Almosen gespendet haben, so lassen Sie unsere Zusammenkunft nicht ganz fruchtlos sein, sondern beantworten Sie mir eine Frage!«
    »Was für eine Frage?«
    »Wir werden einander ja nie wiedersehen; was macht es Ihnen also aus, diese Frage zu beantworten? Sagen Sie einmal in Ihrem ganzen Leben die Wahrheit, auf eine Frage, wie sie verständige Menschen niemals stellen würden:

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