Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
Vom Netzwerk:
weiß ich bestimmt.
    Der Leser wird es jetzt verstehen, daß ich, obgleich man mich zum Teil darauf vorbereitet hatte, doch in keiner Weise vermuten konnte, daß ich am nächsten oder übernächsten Tag den alten Fürsten bei mir in meiner Wohnung finden würde, und zwar unter diesen Umständen. Ich hätte ja auch eine solche Kühnheit von Anna Andrejewna keineswegs erwarten können! Mochte sie auch von dergleichen reden und allerlei Andeutungen machen; aber einen Entschluß zu fassen und ans Werk zu gehen und ein solches Unternehmen tatsächlich auszuführen – nein, das muß ich sagen, das zeugt von großer Charakterfestigkeit!

II
     
    Ich fahre fort.
    Ich wachte am andern Morgen erst spät auf; ich hatte ungewöhnlich fest und traumlos geschlafen, woran ich mich noch mit Verwunderung erinnere, so daß ich mich nach dem Aufwachen geistig wieder außerordentlich frisch fühlte, gerade als ob der ganze vorhergehende Tag nicht dagewesen wäre. Ich nahm mir vor, zunächst nicht bei Mama vorzusprechen, sondern mich geradeswegs nach der Friedhofskirche zu begeben, um dann nach der Zeremonie mit Mama in ihre Wohnung zurückzukehren und mich von ihr den ganzen Tag über nicht mehr zu trennen. Ich war fest davon überzeugt, daß ich ihn heute bestimmt bei Mama treffen würde, früher oder später, aber sicher.
    Alfonsinka und der Wirt hatten die Wohnung schon längst verlassen. Die Wirtin mochte ich nach nichts fragen, und ich hatte mir überhaupt vorgenommen, alle Beziehungen zu ihnen abzubrechen und sogar so bald wie möglichaus der Wohnung auszuziehen; daher legte ich, sobald mir der Kaffee gebracht war, an der Tür sogleich wieder den Haken vor. Aber auf einmal klopfte jemand an die Tür; zu meiner Verwunderung stellte sich heraus, daß es Trischatow war.
    Ich öffnete sofort und bat ihn erfreut, hereinzukommen, aber er lehnte dies ab.
    »Ich will Ihnen nur zwei Worte von der Schwelle aus sagen ... oder ich will doch lieber hereinkommen, denn ich glaube, man muß hier im Flüsterton sprechen; aber hinsetzen werde ich mich bei Ihnen nicht. Sie betrachten meinen häßlichen Mantel: das kommt daher, daß Lambert mir den Pelz weggenommen hat.«
    In der Tat trug er einen alten, schäbigen, für seine Figur viel zu langen Paletot. Er stand mit düsterer, trauriger Miene vor mir; die Hände hatte er in die Taschen gesteckt, den Hut auf dem Kopf behalten.
    »Ich will mich nicht hinsetzen, ich will mich nicht hinsetzen. Hören Sie mal, Dolgorukij, ich weiß keine Details, aber ich weiß, daß Lambert gegen Sie eine Verräterei plant, für die nächste Zeit, und er ist fest entschlossen dazu – das ist sicher. Darum nehmen Sie sich in acht! Dem Pockennarbigen ist im Gespräch mit mir ein Wort zuviel entschlüpft – erinnern Sie sich noch an den Pockennarbigen? Aber er sagte nicht, um was es sich handelt, so daß ich Ihnen nicht mehr sagen kann. Ich bin nur gekommen, um Sie zu warnen – leben Sie wohl!«
    »Aber so setzen Sie sich doch, lieber Trischatow! Ich bin zwar in Eile, aber ich freue mich so, Sie zu sehen ...« rief ich.
    »Ich setze mich nicht, ich setze mich nicht; aber daß Sie sich freuen, mich zu sehen, das werde ich Ihnen nicht vergessen. Ach, Dolgorukij, wozu soll ich andere Leute zu täuschen suchen: ich habe mit vollem Bewußtsein und aus freien Stücken bei allen möglichen Schändlichkeiten mitgewirkt, ich sage Ihnen, bei solchen Gemeinheiten, daß ich mich schäme, sie vor Ihren Ohren auch nur zu erwähnen. Wir sind jetzt bei dem Pockennarbigen ... Leben Sie wohl! Ich bin nicht wert, mich bei Ihnen hinzusetzen.«
    »Reden Sie doch nicht so, lieber Trischatow ...«
    »Nein, sehen Sie, Dolgorukij: allen andern gegenüber benehme ich mich dreist und werde jetzt anfangen, ein flottes Leben zu führen; ich werde mir bald einen noch besseren Pelz machen lassen und mit Trabern fahren. Aber im stillen werde ich mir doch bewußt sein, daß ich mich bei Ihnen nicht hingesetzt habe, weil ich mich selbst verurteilt habe. Weil ich Ihnen gegenüber ein unwürdiges Subjekt bin. Das wird mir doch eine angenehme Erinnerung in dem ehrlosen Luderleben sein, das ich nun führen werde. Na, leben Sie wohl, leben Sie wohl! Auch die Hand gebe ich Ihnen nicht: nicht einmal Alfonsinka nimmt ja meine Hand. Und bitte, begleiten Sie mich nicht, und kommen Sie auch nicht zu mir; wir haben einen Kontrakt.«
    Der sonderbare junge Mensch drehte sich um und ging hinaus. Ich hatte nur keine Zeit, nahm mir aber vor, ihn jedenfalls bald

Weitere Kostenlose Bücher