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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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wurden ihre blassen Wangen von einer leichten Röte belebt, und in ihren Augen leuchtete Freude.
    »Ich wußte, daß du es so aufnehmen würdest, Sonja«, sagte er. Da wir alle bei seinem Eintritt aufgestanden waren, nahm er, als er an den Tisch trat, Lisas Stuhl, der links neben Mama stand, und setzte sich darauf, ohne zu bemerken, daß er sich auf einen fremden Platz setzte. Auf diese Weise befand er sich unmittelbar neben dem Tischchen, auf dem das Heiligenbild lag.
    »Ich sage euch allen guten Tag. Sonja, ich wollte dir heute unter allen Umständen diesen Strauß zu deinem Geburtstag bringen, und darum bin ich auch nicht zur Beerdigung gekommen, um nicht zu einem Toten mit einem Blumenstrauß zu gehen, und ich weiß, du hast mich auch selbst nicht zur Beerdigung erwartet. Der alte Mann wird über diese Blumen gewiß nicht böse sein, da er doch selbst uns die Freude vermacht hat, nicht wahr? Ich denke mir, er ist jetzt hier irgendwo im Zimmer.«
    Mama sah ihn sonderbar an; Tatjana Pawlowna zuckte ordentlich zusammen.
    »Wer soll hier im Zimmer sein?« fragte sie.
    »Der Verstorbene. Aber reden wir nicht davon. Ihr wißt ja, daß jemand, der an all diese Wunder nicht so recht glaubt, immer ganz besonders zu Vorurteilen neigt ... Aber ich will lieber von dem Blumenstrauß sprechen; wie ich ihn hergebracht habe, das ist mir unbegreiflich. Dreimal wandelte mich unterwegs die Lust an, ihn in den Schnee zu werfen und mit dem Fuße zu zerstampfen.«
    Mama fing an zu zittern.
    »Es war ein überaus heftiges Verlangen. Hab mit mir und meinem armen Kopf Mitleid, Sonja! Ich wollte es deswegen, weil der Strauß gar zu schön ist. Was ist von allen Dingen auf der Welt schöner als eine Blume? Ich trage sie in der Hand, und ringsumher ist Schnee und Kälte. Unsere Kälte und Blumen – welch ein Gegensatz! Aber das wollte ich eigentlich nicht sagen, sondern dies: ich wollte den Strauß einfach zertreten, weil er so schön ist. Sonja, wenn ich jetzt auch wieder verschwinde, so werde ich doch sehr bald wieder zurückkehren, denn ich glaube, ich werde Angst bekommen. Und wenn ich Angst bekomme, wer wird mich dann von meiner Furcht heilen, wo werde ich einen guten Engel wie Sonja hernehmen? ... Was habt ihr da für ein Heiligenbild? Ah, ich erinnere mich, es hat dem Verstorbenen gehört. Es ist ein Erbstück, schon von seinem Großvater her; er hat sich sein ganzes Leben nicht davon getrennt; ich weiß, ich erinnere mich, er hat es mir vermacht; ich erinnere mich ganz genau ... ich glaube, es rührt von Altgläubigen her ... laßt es mich doch einmal besehen!«
    Er nahm die Ikone in die Hand, hielt sie nahe an die Kerze und blickte sie starr an, aber nachdem er sie nur einige Sekunden lang so gehalten hatte, legte er sie vor sich hin auf den Tisch. Ich war erstaunt, aber all diese sonderbaren Reden, die er führte, kamen mir so überraschend, daß ich noch nicht begreifen konnte, was hier vorging. Ich erinnere mich nur, daß ein krankhaftes Angstgefühl sich meines Herzens bemächtigte. Mamas Schrecken ging in zweifelndes Staunen und in Mitleid über; sie sah in ihm vor allen Dingen den Unglücklichen: es war auch früher schon manchmal vorgekommen, daß er beinahe ebenso seltsam geredet hatte wie jetzt. Lisa wurde auf einmal aus irgendeinem Grund sehr blaß und machte mir insonderbarer Art ein Zeichen mit dem Kopf nach ihm hin. Aber am meisten von allen war Tatjana Pawlowna erschrocken.
    »Aber was ist denn nur mit Ihnen, lieber Andrej Petrowitsch?« fragte sie vorsichtig.
    »Wirklich, ich weiß selbst nicht, was mit mir ist, liebe Tatjana Pawlowna. Beunruhigen Sie sich nicht; ich erinnere mich noch, daß Sie Tatjana Pawlowna und ein liebes Wesen sind. Ich bin aber nur auf einen Augenblick hergekommen; ich wollte Sonja gern etwas Freundliches sagen und suche nun nach einem solchen Wort, obwohl mein Herz voll von Worten ist, die ich nur nicht auszusprechen imstande bin; allerdings sind es ja recht sonderbare Worte. Wißt ihr, ich habe die Empfindung, als ob mein ganzer Mensch gleichsam in zwei Teile gespalten würde«, fuhr er fort, indem er uns alle ringsherum mit furchtbar ernstem Gesicht und durchaus aufrichtiger Mitteilsamkeit anblickte. »Wirklich, ich spalte mich geistig in zwei Teile und fürchte mich davor entsetzlich. Es ist, als ob ein Doppelgänger neben einem stünde; man ist selbst klug und verständig, aber der andere will durchaus neben einem irgendeinen sinnlosen Streich begehen, manchmal auch etwas sehr Lustiges,

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