Der Jüngling
Mädchen auf meine Kosten aufziehen. Dem widersetzte er sich trotz all seiner sonstigen Milde doch mit einiger Strenge, und obwohl er mit einem Scherz schloß, hielt er seine Absicht hinsichtlich des Findelhauses doch mit aller Kraft aufrecht. Dennoch geschah es nach meinem Willen; auf demselben Hof, aber im andern Nebengebäude, wohnte ein sehr armer Tischler, ein schon bejahrter, trunksüchtiger Mann; seiner Frau aber, einem noch ziemlich jungen, sehr gesunden Weib, war soeben ein Säugling gestorben und, was die Hauptsache war, das einzige Kind, das ihnen nach achtjähriger kinderloser Ehe geboren war, ebenfallsein Mädchen und infolge eines seltsamen glücklichen Zufalls ebenfalls eine Arinotschka. Ich sage: infolge eines glücklichen Zufalls, denn als wir in der Küche miteinander stritten, kam diese Frau, die von dem Ereignis gehört hatte, herbeigelaufen, um das Kindchen anzusehen, und als sie hörte, daß es eine Arinotschka sei, wurde sie ganz gerührt. Die Milch war ihr noch nicht vergangen; sie machte ihre Brust frei und legte das Kind daran. Ich setzte ihr mit Bitten zu, sie möchte das Kind zu sich nehmen, ich würde ihr monatlich dafür bezahlen. Sie fürchtete, ihr Mann würde es vielleicht nicht erlauben, nahm das Kind aber doch für diese Nacht mit. Am Morgen erlaubte es der Mann für acht Rubel monatlich, und ich bezahlte ihm diesen Betrag gleich für den ersten Monat im voraus; er vertrank das Geld sofort. Nikolai Semjonowitsch, der immer noch sonderbar lächelte, erklärte sich bereit, dem Tischler gegenüber dafür zu bürgen, daß ich das Geld, die acht Rubel monatlich, pünktlich bezahlen würde. Ich wollte Nikolai Semjonowitsch, um ihn sicherzustellen, meine sechzig Rubel einhändigen, aber er nahm sie nicht an; übrigens wußte er, daß ich Geld besaß, und traute mir. Durch dieses taktvolle Benehmen von seiner Seite wurde unser momentaner Zwist ausgeglichen. Marja Iwanowna sagte nichts, wunderte sich aber darüber, daß ich eine solche Sorge auf mich nahm. Besonders hoch rechnete ich ihnen das Taktgefühl an, das sie darin bewiesen, daß Sie sich beide nicht den geringsten Scherz über mich erlaubten, sondern vielmehr von da an die Sache so ernst behandelten, wie es sich gehörte. Ich lief alle Tage etwa dreimal zu Darja Rodiwonowna, und eine Woche darauf schenkte ich ihr persönlich insgeheim ohne Wissen ihres Mannes noch drei Rubel. Für weitere drei Rubel kaufte ich eine kleine Bettdecke und Windeln. Aber nach zehn Tagen wurde Rinotschka auf einmal krank. Ich holte sogleich einen Arzt; er verschrieb etwas, und wir mühten uns die ganze Nacht ab und quälten das kleine Wesen mit der widerwärtigen Arznei, aber am andern Tage erklärte der Arzt, es sei nichts mehr zu machen, und erwiderte auf meine Bitten – übrigens waren es wohl mehr Vorwürfe – mit edler Friedfertigkeit: »Ich bin nicht Gott.« Das Zünglein, die Lippen und der ganze Mund der Kleinen hatten sich mit einem dünnen, weißenÜberzug bedeckt, und sie starb noch an jenem Abend; die großen schwarzen Augen hielt sie auf mich gerichtet, als ob sie schon alles verstünde. Ich begreife nicht, daß es mir nicht in den Sinn kam, die kleine Leiche photographieren zu lassen. Na, ob man es glaubt oder nicht, ich habe an jenem Abend nicht geweint, sondern geradezu geheult, was ich mir früher nie gestattet hatte, und Marja Iwanowna sah sich genötigt, mich zu trösten, und es war wieder kein Beiklang von Spott dabei, weder von ihrer noch von seiner Seite. Der Tischler fertigte einen kleinen Sarg an; Marja Iwanowna verzierte ihn mit einer Rüsche und legte ein hübsches Kissen hinein; ich aber kaufte Blumen und bestreute das Kindchen damit: so trugen wir mein armes Grashälmchen fort, das ich, ob man's glauben will oder nicht, bis auf den heutigen Tag nicht habe vergessen können. Bald darauf aber gab mir dieses plötzlich eingetretene Ereignis doch Anlaß zu sehr ernstem Nachdenken. Allerdings war mir Rinotschka nicht teuer zu stehen gekommen: alles in allem, mit dem Särglein, der Beerdigung, dem Arzt, den Blumen und der Zahlung an Darja Rodiwonowna, hatte ich dreißig Rubel ausgegeben. Dieses Geld brachte ich bei der Abreise nach Petersburg durch Einsparungen an den vierzig Rubeln Reisegeld, die mir Wersilow geschickt hatte, und durch den Verkauf einiger Sachen vor der Abreise wieder ein, so daß mein ganzes »Kapital« unangerührt blieb. ›Aber‹, dachte ich, ›wenn ich solche Seitensprünge mache, werde ich nicht weit
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