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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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sich den Heiligenbildern gegenüber, was ihre religiöse Bedeutung anbetraf, gleichgültig und runzelte nur manchmal, jedoch mit sichtlicher Selbstbeherrschung, die Stirn über das von der Goldeinfassung reflektierte Licht des Lämpchens, indem er ein klein wenig darüber klagte, daß das seiner Sehkraft schade, aber er hinderte meine Mutter doch nicht, das Lämpchen anzuzünden.
    Ich kam gewöhnlich schweigend und mürrisch herein, sah irgendwohin in eine Ecke und grüßte mitunter nicht einmal beim Eintreten. Ich war sonst immer früher nach Hause gekommen als dieses Mal, und das Mittagessen wurde mir dann nach oben gebracht.
    Als ich jetzt eintrat, sagte ich auf einmal: »Guten Abend, Mama«, was ich früher nie getan hatte; indes vermochte ich mich aus Verlegenheit auch diesmal nicht dazu zu zwingen, sie anzusehen, und setzte mich am entgegengesetzten Ende des Zimmers hin. Ich war sehr müde, aber daran dachte ich nicht.
    »Dieser Flegel kommt immer noch so unhöflich wie früher zu euch herein«, schalt Tatjana Pawlowna über mich. Schimpfworte hatte sie sich auch früher gegen mich erlaubt, und das war schon zwischen ihr und mir zur Gewohnheit geworden.
    »Guten Abend ...«, erwiderte meine Mutter; sie schien ganz die Fassung darüber verloren zu haben, daß ich sie begrüßt hatte. »Das Essen ist schon längst fertig«, fügte sie fast verwirrt hinzu. »Wenn nur die Suppe nicht schon kalt geworden ist, aber ich will gleich Lukerja sagen, daß sie die Koteletts ...« Sie wollte eilig aufstehen, um in die Küche zu gehen, und vielleicht zum erstenmal in diesem ganzen Monat schämte ich mich plötzlich darüber, daß sie so hastig aufsprang, um mich zu bedienen, was ich doch bisher selbst von ihr verlangt hatte.
    »Danke schön, Mama, ich habe schon zu Mittag gegessen. Wenn ich nicht störe, möchte ich mich hier ein bißchen erholen.«
    »Ach ... was soll das ... warum denn nicht, setzen Sie sich doch ...«
    »Sie brauchen sich nicht zu beunruhigen, Mama, ich werde zu Andrej Petrowitsch nicht mehr grob sein«, unterbrach ich sie kurz.
    »Ach, Herrgott, wie großmütig von ihm!« rief Tatjana Pawlowna. »Sonja, Täubchen, sagst du denn wirklich immer noch zu ihm Sie? Was ist er denn Großes, daß ihm solche Ehre erwiesen werden müßte, und noch dazu von seiner eigenen Mutter! Nun sieh mal an, du bist ja ganz verlegen vor ihm geworden, es ist eine Schande!«
    »Es wäre mir selbst sehr lieb, Mama; wenn Sie mich duzen wollten.«
    »Ach... nun schön, dann werde ich es tun«, sagte meine Mutter eilig. »Ich... ich habe es ja auch nicht immer... nun, und von jetzt an werde ich es mir merken.«
    Sie war ganz rot geworden. Ihr Gesicht war manchmal außerordentlich anziehend... Es war gutmütig, aber durchaus nicht einfältig, nur etwas blaß und blutarm. Ihre Wangen waren sehr mager, sogar eingefallen, und auf ihrer Stirn sammelten sich schon viele kleine Runzeln, aber um die Augen waren noch keine Fältchen vorhanden, und die großen, offenen Augen leuchteten immer mit einem stillen, ruhigen Glanz, der mich gleich vom ersten Tage an zu ihr hingezogen hatte. Es gefiel mir auch gut, daß in ihrem Gesicht so gar nichts Trauriges oder Bedrücktes lag; im Gegenteil, der Ausdruck desselben wäre sogar heiter gewesen, wenn sie sich nicht so oft aufgeregt hätte, manchmal ohne jeden Anlaß. Sie fuhr nicht selten in völlig grundlosem Schreck von ihrem Platz in die Höhe oder horchte ängstlich nach irgendeinem neuen Gespräch hin, bis sie sich überzeugt hatte, daß alles wie früher gut stand; denn »gut« und »wie früher«, das bedeutete bei ihr dasselbe. Wenn sich nur nichts veränderte, wenn sich nur nichts Neues zutrug, mochte es selbst etwas Glückliches sein!... Man hätte denken können, sie sei als Kind so verschüchtert worden. Außer ihren Augen gefiel mir auch das Oval ihres länglichen Gesichts, und ich glaube, wenn ihre Backenknochen nur ein ganz klein bißchen weniger breit gewesen wären, so hätte man sie nicht nur in ihrer Jugend, sondern auch jetzt noch eine Schönheit nennen können. Sie war jetzt nicht mehr als neununddreißig Jahre alt, aber in ihrem dunkelblonden Haar traten schon eine Menge grauer Fäden hervor.
    Tatjana Pawlowna warf ihr einen entschieden unwilligen Blick zu.
    »So einen dummen Jungen Sie zu nennen! Und so vor ihm zu zittern! Du bist lächerlich, Sofja; ich muß mich über dich ärgern, weißt du!«
    »Ach, Tatjana Pawlowna, warum sind Sie denn jetzt immer so zu ihm? Aber

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