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Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition)

Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Read
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Sorge, ich bin unparteiisch. Ich bin nur hier, weil ich uralt bin und den Winter nicht im Süden verbringe.«
    »In dem Fall gebe ich ihm sechs Monate.«
    »Großzügig«, sagte er und legte die knorrigen Hände aufs weiße Tischtuch, sodass sie den unberührten Teller umrahmten.
    »Essen Sie nichts?«, fragte ich.
    »Ich habe die Schonkost satt. Sahnehähnchen mit Erbsen und ein Löffel Wildreis. Wie im Altersheim.«
    »Wenigstens ist es unschädlich.«
    »Ich hebe mir den Appetit fürs Dessert auf«, erklärte er, als mehrere Leute begannen, mit Gabeln oder Messern gegen die Gläser zu schlagen, um einen Toast auszusprechen.
    Ich zeigte auf die winzige Scheibe Roggenbrot auf meinem Teller. »Mein Toast.«
    »Pfiffiges Mädchen.«
    »Danke«, sagte ich.
    Ein paar ehemalige Kommilitonen fingen an, irgendwas von verlorenen Lämmern zu singen.
    Mein Tischherr streckte die Hände aus, und ich bemerkte zwei goldene Wappenringe, je einer an einem kleinen Finger. Sie passten nicht zusammen.
    »Erzählen Sie mir von Ihren Ringen«, sagte ich.
    »Scharfer Blick.«
    Ich zuckte die Schultern. »Sie sehen interessant aus.«
    »Das sind sie«, sagte er. »Ich habe sie geerbt, von jedem Großvater einen.«
    »Mochten Sie Ihre Großväter?«
    »Habe sie nie kennengelernt«, sagte er. »Nur ihre Witwen, und die liebte ich sehr.«
    »Das ist eine schöne Geschichte«, sagte ich.
    »Die Geschichte kommt erst noch«, sagte er.
    »Ich bin gespannt.«
    »Meine Großväter sind mit der Titanic untergegangen«, sagte er. »Jeder von ihnen nahm seinen Ring ab und gab ihn seiner Frau, sobald er dafür gesorgt hatte, dass sie einen Platz im Rettungsboot hatte.«
    »Gleich muss ich aufstehen und etwas sagen«, erklärte ich.
    »Sie sind also die Tochter, auf die man sich wegen eines guten Toasts verlässt?«
    »Genau die«, sagte ich.
    »Und jetzt sehen Sie mich so an, als wollten Sie mich um etwas bitten.«
    Ich nickte. »Dürfte ich vielleicht Ihre Ringe erwähnen?«
    »Es wäre mir eine Freude.«
    »Danke«, sagte ich. »Bei der vierten Hochzeit meiner Mutter geht mir langsam der Stoff aus.«
    Mein neuer Freund klopfte mit dem Dessertlöffel an sein Wasserglas.
    Ich trank einen Schluck und stand auf.
    Es wurde still im Saal, und alle Augen ruhten auf mir.
    »Ich habe unserer Mutter versprochen, die Handtücher mit dem Monogramm nicht zu erwähnen, die wir ihr letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt haben«, sagte ich, »und das werde ich auch nicht, bis auf den Teil, dass wir hinter ihre Initialen einen Bindestrich setzen mussten, damit klar war, dass sie auf der anderen Seite weitergehen.«
    Der Saal lachte, und irgendwo rief eine tiefe Stimme »bravo« .
    »Wir haben Larry jetzt schon ins Herz geschlossen«, fuhr ich fort. »Wie kann man einen Stiefvater in spe nicht bewundern, der sich vorstellt, indem er die versammelten Kinder seiner Verlobten zum Mittagessen in den 21-Club einlädt und bittet, sich beim Shrimps-Cocktail anzuschließen?«
    »Gut gemacht, Junge!«, rief jemand von der Bar.
    Ich nickte. »Meiner lieben Mutter Constance möchte ich zwei Ratschläge mit auf den Weg geben, von denen der erste folgender ist: Mami, wenn dieser ganz besondere Moment kommt im Lauf eurer Hochzeitsnacht, dann erinnere dich an das, was Queen Victoria zu ihren Töchtern gesagt hat: ›Schließ die Augen und denk an England.‹«
    Alle lachten.
    Ich senkte den Blick und wartete, bis es wieder still wurde.
    »Mein zweiter weiser Rat ist ernster gemeint«, sagte ich, »auch wenn ich ihn selbst erst heute Abend von meinem charmanten Tischherrn erhalten habe.«
    Ich hielt das Glas mit beiden Händen und sah quer durch den Saal zu meiner Mutter.
    »Eine gute Ehe«, sagte ich, »ist, wenn du weißt, dass dein Partner immer dafür sorgen wird, dass du einen Platz im Rettungsboot hast.«
    Ich ließ eine Hand sinken und hob mit der anderen das Glas. »Ich wünsche euch, dass Larry und du dieses liebende Vertrauen zueinander hegt, in all den vielen gemeinsamen Jahren, die vor euch liegen.«
    Dann trank ich mein Wasser, während alle um mich herum nach ihren Cocktails griffen, und setzte mich in einer Woge von Applaus.
    »Oder wenigstens sechs Monate«, sagte mein neuer Freund.
    »Oder so.«
    Der alte Mann stieß mit mir an.
    »Bravo«, sagte er. »Bravo, meine Liebe.«
    Als ich aufsah, entdeckte ich Dean an der Tür neben der Bar. Er hatte mich noch nicht gesehen.
    Ich fragte mich, welche der Neuigkeiten ich ihm zuerst erzählen sollte: dass ich einen Mann

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