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Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition)

Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Read
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Weile beim Atmen zu.
    »Ich glaube, ich muss mich erst mal hinlegen. Ich habe wenig geschlafen.«
    »Ganz sicher?«, fragte ich.
    »Es geht schon«, sagte sie. »Wirklich. Ich meine, ich binzwar nicht ganz auf der Höhe, aber ich glaube, ich stelle keine Gefahr für mich oder andere dar.«
    Ich glaubte ihr. In diesem Moment klang sie klarer bei Verstand als seit langer Zeit. Wie ihr altes Ich.
    »Wenn du was brauchst, ruf mich an, okay? The Catalog ist gleich auf der Fifty-seventh Street. Ich könnte dir Suppe bringen oder so was.«
    »Ich habe dich lieb«, sagte sie. »Ciao, bella.«
    Ich legte auf. »Frohe Weihnachten.«

MANHATTAN
Februar 1991
    Wann wird unser Gewissen so weich, dass wir handeln, um Elend zu verhindern, statt es zu rächen?
    Eleanor Roosevelt

42
    Als ich mich die U-Bahn-Treppe zum Queens Boulevard hochgekämpft hatte, traf mich die Februarkälte wie ein eisiges Messer. Schneidender Wind packte mich mit einem jazzigen Seufzer und fegte mir Staub in die Augen.
    Blinzeln reichte nicht. Ich musste die linke Hand aus der warmen Manteltasche ziehen und mir das Auge reiben.
    In zwei Wochen kam der Gips ab. Der Arzt hatte gesagt, dass der Nagel gut zu funktionieren scheine und die Knochen zusammenhalte.
    Ich lehnte mich in die Bö und blinzelte zu Boden. Seit einer Woche hatte es nicht geschneit. Der alte Schnee lag aufgeschüttet am Straßenrand, mit einer glänzenden braunschwarzen Eiskruste überzogen.
    Der Wind drang mir in den Mantel und blähte ihn am Rücken auf. Bis ich die Treppe des Gerichts erreichte, fühlte ich mich wie Doktor Schiwago.
    Die Flügel der Käsereibenskulptur rotierten, als würde das Ding gleich abheben.
    Ich stellte mich in die Schlange unter dem Vordach, die um diese Zeit lang war und nur langsam vorankam. Allein bis zur Tür standen mindestens zwanzig Leute vor mir. Ein paar hielten dampfende Kaffeebecher in der Hand. Es wurde nicht viel geredet. Auch wenn es immer noch eiskalt war, waren wir hier wenigstens ein bisschen vor dem Wind geschützt.
    Mühsam bewegte sich die Schlange weiter, Stufe für Stufe. Nach zehn Minuten hatte ich den Eingang erreicht und war froh, als endlich die Tür hinter mir zuschwang.
    Der Boden war spiegelglatt von geschmolzenem Schnee und kleinen Eisstückchen, und ich musste höllisch aufpassen, nicht auf den Hintern zu fallen. Jetzt kroch die Schlange auf den Metalldetektor zu. Ich dachte an das erste Mal, als ich hier war und Skwarecki mich abgeholt hatte.
    Wahrscheinlich würde ich sie heute nicht sehen. Und selbst wenn, den leitenden Ermittler zu treffen, wenn ein Fall vor Gericht verhandelt wurde, war ungefähr so, als würde man seiner Lieblingsgrundschullehrerin begegnen. Da war so viel, das ich ihr noch sagen wollte, aber ihr Herz gehörte längst anderen Kindern.
    Louise Bost hatte gesagt, ich könnte mich in den Saal setzen und zusehen, aber erst, nachdem ich mit meiner Aussage fertig war.
    Cate war zuerst dran, dann ich.
    Man hatte uns gesagt, wir sollten um neun Uhr dreißig da sein, und jetzt war es erst kurz nach neun, doch das Gericht von Queens war dafür bekannt, dass die Mühlen extrem langsam mahlten.
    Polizisten, die als Zeugen aussagen mussten, warteten in einem Kellerflur ein paar Stockwerke unter den Büros der Staatsanwaltschaft und der Brücke zum Untersuchungsgefängnis. Skwarecki sagte, sie hätte öfter bis zu zwölf Stunden dort unten schmoren müssen, ihre persönliche Bestzeit lag bei siebzehneinhalb Stunden.
    »Wenigstens haben wir Toiletten«, hatte sie gesagt, »anders als die armen Würstchen, die aus ihren Zellen geholt werden.«
    »Ihr könnt nichts tun als warten?«, fragte ich.
    »Wir nehmen uns Klappstühle mit.«
    »Klappstühle?«
    »Am besten sind die niedrigen für den Strand, falls man die ganze Nacht dort hockt.«
    »Müssen Sie oft herkommen?«
    »Letztes Jahr gab es 2246 Morde in New York City. Immer wenn einer von meinen vor Gericht ist, bin ich hier. Ich kenne den Keller wie meine verdammte Hosentasche.«
    2246. Eine Menge Tote.
    Inzwischen hatte ich das Fließband mit dem Röntgengerät erreicht und begann, den Inhalt meiner Taschen in eine Plastikwanne zu leeren, dann nahm ich auch meine neue Plastikuhr vom Drogeriemarkt ab und warf sie hinterher. Die Metalldetektoren hier schienen nicht ganz so genau zu sein wie die auf dem Flughafen, denn meine BH-Bügel hatten bislang keinen Alarm ausgelöst. Mit ein bisschen Glück müsste ich mich auch heute nicht mit der Wünschelrute abtasten und

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