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Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition)

Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Read
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befummeln lassen.
    Ich warf einen Blick auf das riesige Wandmosaik. Es war voll von allegorischen Figuren, aber ich verstand die Geschichte nicht, die sie erzählten, nur dass es irgendwas mit der Personifizierung der Gerechtigkeit zu tun hatte.
    Ich musste unbedingt Kyle danach fragen. Im College war er immer gut in Kunstgeschichtszeug gewesen. Er hatte versprochen, dass er versuchen würde, später mit uns Mittag zu essen, auch wenn er nicht zur Verhandlung kommen konnte, weil er zur Beerdigung eines Kollegen musste.
    Hinter mir ging die Tür wieder auf, um einen kalten Luftstoß und ein paar weitere Glückliche hereinzulassen.
    Bevor ich durch den Metalldetektor gewunken wurde, sah ich mich noch einmal nach Cate um, doch ich konnte sie nicht entdecken, und durch die beschlagenen Glastüren konnte ich nicht nach draußen sehen. Sie hatte gesagt, dass sie versuchen würde, früh da zu sein, also war sie wahrscheinlich schon drin.
    Als ich unter dem weißen Tor des Metalldetektors durchging, fing das Ding an, wie verrückt zu piepsen.
    Also hob ich die Hände und stellte mich vor die große, dunkelhaarige Matrone mit dem Zauberstab.
    »Beine auseinander, Schätzchen«, sagte sie.
    Sie war selbst eine eher dralle Frau und zwinkerte mir zu, als ich erklärte: »Neuer Bügel-BH.«
    Oder das Metall in meinem Handgelenk.
    Der Gerichtssaal war riesig im Vergleich zu dem winzigen Raum, in dem die Jury getagt hatte.
    Ich hatte den ganzen Vormittag mit ein paar anderen Zeugen in einem engen, kleinen Kabuff gewartet. Bis Cate hineingerufen wurde, konnten wir uns wenigstens unterhalten. Dann saß ich eine Ewigkeit bis zur Mittagspause da.
    Kyle fand uns an unserem Stammplatz in der Nische in dem Lokal auf der anderen Seite des Queens Boulevard, und dann tauchte auch Skwarecki auf, was mich freute.
    »Wie ist es gelaufen?«, fragte er, als er nach Skwarecki auf die Bank rutschte.
    »Ich habe von heute Morgen nichts mitbekommen«, sagte ich. »Aber ich glaube, ich bin gleich nach der Mittagspause dran.«
    Cate lächelte. »Es ging gut. Bei mir jedenfalls. Nicht dass ich wahnsinnig wichtige Informationen gehabt hätte.«
    »Wie war die Beerdigung?«, fragte ich Kyle.
    »Ziemlich unglaublich«, sagte er. »Und es hat Stunden gedauert.«
    »Schmidts Abschied heute?«, fragte Skwarecki. »Ich war am Sonntag bei der Totenwache. Seine gumar war völlig meschúge .«
    Bürgermeister Dinkins nannte unsere Stadt vielleicht ein »glorreiches Mosaik«, aber das nächste Mal, wenn ich hörte, dass jemand das Wort »Schmelztiegel« politisch inkorrekt fand, würde ich die polnische Polizistin zitieren, die in sizilianisch-jiddischen Worten den Zusammenbruch der Mätresse des toten deutschen Staatsanwalts beschrieb, die während seiner traditionellen irischen Trauerfeier durchgedreht war.Ich musste noch eine weitere Stunde in dem Kabuff sitzen, bis der Gerichtsdiener meinen Namen verlas und ich in den Zeugenstand gerufen wurde.
    Er öffnete die Tür und winkte mich in den Saal.
    Auf dem Weg nach vorn sah ich zum Richter hinauf. Er war ein würdevoller Afroamerikaner mit silbernem Haar und breiten Schultern unter der Robe. An der Wand über seinem kahl werdenden Schädel stand in großen Lettern IN GOD WE TRUST.
    Mir kam der Gedanke, GOD HELP US ALL wäre adäquater gewesen, aber niemand hatte um meine Meinung gebeten.
    Ich hatte erwartet, dass ich mit der Hand auf der Bibel schwören musste, die Wahrheit zu sagen, so wahr mir Gott helfe, denn als Kind hatte ich nach der Schule immer die alten Folgen von Perry Mason gesehen, und ich fragte mich, ob noch irgendwer daran glaubte, dass im New York des späten zwanzigsten Jahrhunderts ein paar Sekunden Hautkontakt mit dem heiligen schwarzen Kunstleder ein wirksames Mittel gegen Eigennutz wären.
    Doch am Ende musste ich nur die Hand hochhalten, was reichlich schien, nicht zuletzt, weil der Richter selbst wie ein allmächtiger Knochen aussah, der göttlichen Beistand nicht nötig hatte.
    Nach dem Schwur sah ich mich im Gerichtssaal um.
    Die Staatsanwältin saß auf einem Außenposten neben den Geschworenen. Kyle hatte mir erklärt, dass die Angeklagten möglichst kurze Wege zwischen der Seitentür und dem Tisch der Verteidigung zurücklegen sollten.
    Am Verteidigungstisch saßen heute vier Personen, von denen mich bisher keine angesehen hatte.
    Albert Williams hatte den Stuhl außen.
    Es war das erste Mal, dass ich ihn sah. Er war ein Schrank von einem Mann mit noch breiteren Schultern als der

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