Der Junge, der mit den Piranhas schwamm
euch!“
„Wir wollen nicht, dass du es für uns machst!“, schreit Ernie.
Stan lacht wieder. „Schaut her!“, ruft er.
Er breitet die Arme aus. Dann springt er, führt die Hände über dem Kopf zusammen, beschreibt mit dem Körper einen vollkommenen Bogen und taucht in das Piranha-Becken ein.
Die Fische machen ihm Platz, als würden sie ihn als einen der ihren willkommen heißen. Sie begleiten ihn bis zum Grund, wo sein Schwung endet. Sie schwimmen mit ihm nach oben, als er sich vom Boden des Beckens abstößt. Sie verhalten sich genauso, als ob Pancho Pirelli oder Pedro Perdito bei ihnen im Wasser wäre. Stan dreht sich und auch sie wirbeln im Kreis um ihn herum. Er schwebt in der Mitte des Beckens, da teilt sich der Schwarm in zwei Gruppen, die rechts und links von ihm schwimmen. Er wiegt sich hin und her und sie tun es ihm gleich. Er tanzt und sie tanzen. Er schwimmt nach oben, holt Luft und sinkt wieder herab. Er blickt die Fische an und sie betrachten ihn.
Oh, meine Gefährten , singt er in seinem Herzen.
Oh, unser Gefährte , hört er sie singen.
Er schlägt Purzelbäume und dreht sich und fühlt sich mit den gefährlichen Piranhas in dem hell erleuchteten Wasser wie zu Hause.
Die Leute schauen staunend zu. Sie rücken näher, immer näher. Dieses Bild werden sie ihr Leben lang in ihren Träumen sehen. Und Ernie und Annie sind wie gebannt. Ihre Angst verwandelt sich in Erregung und Freude.
„Schau nur, was er kann!“, sagen sie zueinander. „Das ist Stan“, erzählen sie den Leuten ringsum. „Das ist unser lieber Junge!“
„Ach, wie stolz seine Eltern auf ihn wären!“, haucht Annie.
Stan schwimmt nach oben und holt noch einmal Luft. Er sinkt wieder herab. Er denkt an den dreizehnten Fisch und an dessen zwölf Gefährten. Er hat eine Vision: Er sieht eine Dose, auf der Potts’ großartig glitzernder Goldfisch steht. Er sieht, wie sich die Dose öffnet und der Deckel zurückrollt. Ein Dutzend Goldfische quellen heraus. Es blitzt und funkelt golden. Und dann schwimmen sie gemeinsam mit ihm und den Piranhas. Und wie sie da alle miteinander im Wasser tanzen, die blutrünstigen Piranhas, die scheuen Goldfische und der hagere Junge, da schaut Stan durch das Glas des Beckens nach draußen und sieht seine Freunde und seine Familie eng beieinanderstehen: Dostojewski und Nitascha, Pancho Pirelli, Tante Annie und Onkel Ernie.
Und er sieht für einen Augenblick ganz nah am Becken seine Mutter und seinen Vater. Sie lächeln und winken ihm zu und sagen: „Wir sind so stolz auf dich. Wir lieben dich.“
Dann sind sie fort.
Stan schwimmt zur Oberfläche. Er packt die Leiter mit beiden Händen. Er steigt aus dem Wasser. Er steht aufrecht da und verbeugt sich. Die Menge jubelt und jubelt. Und dann klettert Stan nach unten und stürzt sich in die Arme von Annie und Ernie Potts.
Sechsundvierzig
Lassen wir Stanley Potts hochleben: Hipp, hipp, hurra! Er ist ein Junge, der zu einem anderen Jungen geworden ist. Er ist ein hageres, dürres Kind, das mit allen möglichen Schwierigkeiten aufgewachsen ist – mit Fischigkeit und mit Doofheit. Aber er hatte den Mut, der Held unserer Geschichte zu werden. Sein Leben hat sich geöffnet und liegt vor ihm. Er wird jede Nacht mit den Piranhas schwimmen. Er wird nicht gefressen werden. Piranhas sind nämlich gar nicht so gefährlich, zumindest, wenn wir Pancho Pirelli glauben dürfen. Vielleicht wird Stan nach einer Weile die Piranhas hinter sich lassen und andere Gefahren suchen. Vielleicht wird er zum Amazonas und zum Orinoko reisen. Vielleicht fährt er nach Sibirien und nach Coalville. Gewiss wird er noch andere Wege finden, um zu wachsen und groß zu werden. Und dann wird er noch einmal ein ganz anderer Stanley Potts sein.
Und seine Familie, die ebenfalls eine ganz andere Familie geworden ist, wird gemeinsam mit ihm wachsen und sich verändern. Da sind sie alle: Sie feiern glücklich miteinander, gemeinsam mit der jubelnden Menge. Pancho zieht die Plane wieder über das Fischbecken. Jetzt gehen sie alle zur Entenbude, wo sie ein Feuer anzünden, leicht verkohlte Kartoffeln knabbern und schwarze Brause trinken werden. Lassen wir sie gehen. Lassen wir sie allein mit ihrer Freude und ihren Erinnerungen und ihren Plänen für eine strahlende Zukunft.
Die Menge zerstreut sich. Die Lichter gehen aus. Der Mond sinkt hinter den Horizont hinab und die Abermillionen Sterne glitzern und funkeln in der unendlichen Dunkelheit. Die Herzen schlagen schneller. Die Augen
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