Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)
hast du im richtigen Postamt gefragt?«
»Das weiß ich nicht, weil alle Ämter im Achtzehnten – wenigstens die vier, wo ich war – nicht sagen wollten, ob sie überhaupt ein Postfach 287 hätten. Also habe ich das Nächstliegende getan, was mir logisch erschien.« Billy sah ihn an, als erwarte er, Tom werde die Antwort erraten.
Das konnte Tom nicht. Noch nicht. »Was?«
»Ich habe Schreibpapier und eine Briefmarke gekauft, bin ins nächste Café gegangen und habe einen Brief an das Tierheim geschrieben: ›Sehr geehrte Damen und Herren, Ihre laut Fotokopie existierende Einrichtung gibt es nicht. Ich bin einer von vielen Düpierten‹ – trompés, nicht?«
Tom nickte.
»– ›und habe mich mit anderen wohlmeinenden Freunden Ihres wohltätigen… Betrugsunternehmens zusammengetan. Rechnen Sie also mit einer Durchsuchung durch die Behörden.‹« Billy beugte sich vor. Seine Miene verriet, daß in ihm Belustigung mit gerechtem Zorn rang. Seine Wangen waren gerötet, er lächelte und blickte finster zugleich. »Ich habe noch geschrieben, daß ihr Postfach überwacht wird.«
»Sehr gut«, sagte Tom. »Hoffentlich haben sie Angst bekommen.«
»In einem vielversprechenden Postamt bin ich tatsächlich länger geblieben. Wie oft das Postfach geleert würde, habe ich das Fräulein am Schalter gefragt. Sie wollte nichts sagen. Was ja typisch französisch ist und nicht unbedingt heißt, daß sie irgendwen schützen will.«
Tom verstand. »Woher weißt du so viel über die Franzosen? Außerdem sprichst du ihre Sprache ganz gut, oder?«
»Ach, wir hatten es natürlich in der Schule. Und dann war ich vor einigen Jahren mit der Familie einen Sommer lang in Frankreich. Unten im Süden.«
Toms Gefühl sagte ihm, daß der Junge schon mehrmals in Frankreich gewesen war, erstmals vielleicht schon im Vorschulalter. In einer normalen amerikanischen High-School lernte man einfach kein anständiges Französisch. Tom öffnete am Barwagen ein zweites Heineken und stellte die Flasche auf den Couchtisch. Er beschloß, gleich zur Sache zu kommen: »Hast du vom Tod dieses Amerikaners gehört? John Pierson, etwa vor einem Monat?«
Verblüffung blitzte in den Augen des Jungen auf, dann schien es ihm zu dämmern. »Ich glaube, irgendwo habe ich etwas darüber gelesen.«
Nach einer kurzen Pause sagte Tom: »Einer der beiden Söhne ist verschwunden. Frank heißt er. Seine Familie macht sich Sorgen.«
»So? Das wußte ich nicht.«
War der Junge blaß geworden? »Mir kam gerade der Gedanke, daß – du es sein könntest«, sagte Tom.
»Ich?« Billy beugte sich vor, das Bierglas in der Hand. Er blickte weg, zum Kamin. »Ich würde wohl kaum als Gärtner arbeiten, wenn ich…«
Tom sagte ein Weile lang nichts. Der Junge schwieg beharrlich. »Sollen wir deine Platte auflegen? Woher wußtest du, daß ich Fischer-Dieskau mag? Wegen des Cembalos?« Er lachte, dann stellte er die Stereoanlage an, die im Regal links vom Kamin stand.
Erst ertönte Klavierspiel, danach setzte Fischer-Dieskaus heller Bariton ein. Er sang auf deutsch. Sofort lebte Tom auf, er war glücklich und lächelte bei dem Gedanken an einen fürchterlichen tiefen Bariton, den er gestern abend erst auf seinem Kofferradio gehört hatte – einen Engländer, der auf englisch gesungen hatte. Sein Gestöhn hatte Tom an einen verendenden Wasserbüffel erinnert, der rücklings im Schlamm lag und alle viere von sich streckte, dabei ging es in dem Lied um eine zierliche Maid aus Cornwall, die der Mann vor Jahren geliebt und verloren hatte, vor vielen Jahren schon, nach der reifen Stimme zu urteilen. Plötzlich lachte Tom laut los. Er merkte, wie angespannt er war.
»Was ist so komisch?« fragte der Junge.
»Mir ist gerade der Titel für ein Schubert-Lied eingefallen. Auf deutsch klingt es besser: Seit Donnerstag nachmittag ist meine Seele nicht mehr dieselbe, denn ich fand beim Durchblättern eines Gedichtbands von Goethe eine alte Wäscheliste. «
Jetzt lachte auch der Junge – genauso angespannt? Er schüttelte den Kopf. »Viel Deutsch kann ich nicht, aber das ist komisch. Seele – ha!«
Die liebliche Musik erklang weiter. Tom steckte sich eine Gauloise an und schlenderte im Wohnzimmer auf und ab. Wie sollte er vorgehen? Sollte er Druck ausüben, indem er den Jungen aufforderte, seinen Paß zu zeigen oder einen an ihn adressierten Brief, um die Sache zu klären?
Als das Lied zu Ende war, sagte Billy: »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich den Rest der Seite lieber
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