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Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)

Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)

Titel: Der Junge, der Ripley folgte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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nicht hören.«
    »Kein Problem.« Tom stellte den Plattenspieler ab und steckte die Platte in die Hülle zurück.
    »Sie haben mir eine Frage gestellt – nach einem Mann namens Pierson.«
    »Ja.«
    »Was, wenn ich sagen würde…« – der Junge sprach leise, als wäre sonst noch jemand im Raum oder als könnte gar Madame Annette in der Küche ihn hören –, »…daß ich sein Sohn bin, der weggelaufen ist?«
    »Oh«, erwiderte Tom gelassen, »ich würde sagen, das ist deine Sache. Inkognito nach Europa zu reisen haben schon andere getan.«
    Der Junge wirkte erleichtert, ein Mundwinkel zuckte, aber er sagte nichts und rollte sein halbvolles Glas zwischen den Handflächen.
    »Aber die Familie scheint sich Sorgen zu machen«, fuhr Tom fort.
    Madame Annette kam herein. » Pardon, Monsieur Tomme. Soll ich –«
    »Ja, ich glaube schon«, sagte Tom. Sie hatte fragen wollen, ob sie für zwei servieren sollte. »Billy, du ißt doch mit, oder?«
    »Ja, gern. Danke.«
    Madame Annette lächelte dem Jungen zu, mehr mit den Augen als mit dem Mund. Sie mochte es, ihre Gäste zu verwöhnen. »In einer Viertelstunde, Monsieur Tomme ?«
    Als Annette gegangen war, rutschte der Junge auf die Sofakante und fragte: »Könnten wir uns kurz Ihren Garten anschauen, bevor es dunkel wird?«
    Tom stand auf. Sie gingen durch die Flügeltür die wenigen Stufen zum Rasen hinab. Zur Linken stand die Sonne noch knapp über dem Horizont, sie leuchte rosa und gelbrot durch die Kiefern. Tom spürte, daß der Junge wegdrängte, außer Hörweite der Haushälterin, doch im Moment war er vom Anblick des Gartens wie gebannt.
    »Das hat Stil, wie er angelegt ist. Schön, aber nicht zu streng.«
    »Der Entwurf ist nicht mein Verdienst, der Garten war schon so. Ich versuche nur, ihn zu bewahren.«
    Der Junge beugte sich über ein paar verwelkte Bartnelken, er kannte ihren Namen, London Pride, was Tom wunderte. Dann wandte er sich dem Gewächshaus zu.
    Hier gab es Blätter in allen Farben, Blüten, Pflanzen, die für Freunde bestimmt waren, alles richtig bewässert und in fruchtbare Pflanzenerde gesetzt. Der Junge atmete tief ein, so als liebe er den Geruch. War dies wirklich der Sohn von John Pierson, der in Luxus aufgewachsen war und die Leitung der Firma übernehmen sollte (falls diese Pflicht nicht dem älteren Sohn zufiel)? Warum redete er nicht, jetzt und hier, in der Abgeschiedenheit des Gewächshauses? Doch der Junge besah sich weiter die Töpfe, berührte eine Pflanze sanft mit der Fingerspitze.
    »Gehen wir zurück.« Tom wurde langsam ungeduldig.
    »Ja, Sir.« Frank stand gerade, als habe er etwas falsch gemacht, und folgte Tom hinaus.
    Welche Schule verlangte dieser Tage noch ein »Ja, Sir«? Eine Anstalt mit militärischem Drill?
    Sie aßen in der Wohnzimmernische zu Abend. Als Hauptgang gab es Hühnchen mit Klößen, die Madame Annette auf Toms Bitte zubereitet hatte, nach dem Anruf des Jungen am Nachmittag. Er hatte ihr beigebracht, Klöße auf amerikanische Art zu kochen. Der Junge aß mit Appetit, auch den Montrachet genoß er offenbar. Er fragte höflich nach Héloïse, wo ihre Eltern wohnten, wie sie so seien. Tom hielt sich zurück, statt ihm zu sagen, was er wirklich von den Plissons hielt, vor allem vom Vater.
    »Spricht Ihre – spricht Madame Annette Englisch?«
    Tom lächelte. »Sie sagt nicht mal ›Guten Morgen‹ auf englisch. Ich glaube, sie mag die Sprache nicht. Warum?«
    Der Junge fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und beugte sich vor. Mehr als ein Meter Tisch trennte sie noch. »Was, wenn ich sagen würde, daß ich der bin, von dem Sie gesprochen haben – Frank.«
    »Ja, das hast du schon gefragt.« Tom merkte, daß der Alkohol bei Frank Wirkung zeigte. Um so besser. »Du bist nur hier, weil du für eine Weile von zu Hause wegwolltest, nicht?«
    »Ja«, sagte Frank ernsthaft. »Sie werden mich nicht verraten, oder? Das hoffe ich wenigstens.« Fast flüsterte er, versuchte, Tom in die Augen zu sehen, doch sein Blick verschwamm.
    »Bestimmt nicht. Du kannst mir vertrauen. Wahrscheinlich hattest du deine Gründe –«
    »Allerdings«, unterbrach ihn der Junge. »Ich wäre gern jemand anders, denn vielleicht –« Er brach ab. »Tut mir leid, daß ich einfach so weggelaufen bin, aber… aber…«
    Tom spürte beim Zuhören, daß Frank nur einen Teil der Wahrheit preisgab und an diesem Abend wohl nicht viel mehr verraten würde. Er dankte dem mächtigen vino und seiner veritas: Man konnte unter seinem Einfluß nur

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