Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)
öffnete die Haustür einen Spaltweit und sah Antoine Grais’ cremeweißen Citroën auf dem Kies vor den Stufen stehen. Héloïse stieg gerade auf der Beifahrerseite aus. Tom zog die Tür zu und schloß ab.
Im Wohnzimmer war Frank besorgt aufgestanden.
»Schnell nach oben«, sagte Tom. »Es ist Héloïse, sie hat einen Besucher mitgebracht. Lauf einfach nach oben, und schließ die Tür.«
Der Junge rannte die Treppe hinauf.
Tom war auf dem Weg zur Tür, als Héloïse die Klinke niederdrückte. Tom schloß auf, sie trat ein, gefolgt von Antoine, der jovial lächelte. Er sah die Treppe hinauf. Ob er etwas gehört hatte? »Wie geht es Ihnen, Antoine?« fragte Tom.
» Tomme , das war ganz komisch!« Héloïse sprach französisch. »Der Wagen wollte eben einfach nicht anspringen. Also war Antoine so nett, mich nach Hause zu fahren. Kommen Sie herein, Antoine! Er meint, es ist nur die –«
Antoines Bariton unterbrach sie. »Ich glaube, es ist die Verbindung vom Zündkabel zur Batterie. Habe nachgeschaut. Man braucht nur einen großen Schraubenschlüssel und eine Feile, zum Saubermachen. Aber ich habe keinen großen Schraubenschlüssel, haha! Und wie geht es Ihnen, Tomme ?«
»Bestens, danke.« Nun standen sie im Wohnzimmer, wo noch die Platte lief. »Antoine, darf ich Ihnen etwas anbieten?« fragte Tom. »Nehmen Sie Platz.«
»Ah, kein Cembalo mehr.« Antoine meinte den Plattenspieler. Er schnüffelte, wie um Parfümduft zu wittern. Sein schwarzes Haar war grau meliert, sein Körper untersetzt. Er drehte sich auf den Zehenspitzen.
»Was ist gegen Rock zu sagen?« fragte Tom. »Ich hoffe doch, mein Musikgeschmack ist nicht zu exzentrisch.« Tom sah Antoines Blick durch das Wohnzimmer schweifen, womöglich auf der Suche nach einem Hinweis, wer da gerade die Treppe hinaufgerannt war, und mußte an den langweiligen Streit denken, in den er mit ihm über dasCentre Pompidou (oder Beaubourg) geraten war, ein hellblaues Gebäude mit Strukturelementen, die Gummischläuchen glichen. Tom fand es abscheulich. Antoine hatte es mit den Worten verteidigt, es sei »zu neu«, als daß Toms ungebildetes Auge – so die Andeutung – seinen Wert einschätzen könne.
»Sie haben Besuch? Pardon, wenn ich störe«, sagte Antoine. »Mann oder Frau?« Witzig gemeint, doch seine Neugier hatte etwas Bösartiges.
Tom hätte ihm mit Vergnügen eine reingehauen, lächelte aber nur dünn und sagte: »Raten Sie mal.«
Héloïse war in der Küche verschwunden, kam jedoch gleich darauf mit einem kleinen Kaffee für Antoine zurück. »Bitte, Antoine. De la force für die Rückfahrt.«
Der enthaltsame Antoine trank höchstens ein Glas Wein zum Abendessen.
»Setzen Sie sich, Antoine.«
»Nein, meine Liebe, es geht schon.« Er nippte am Kaffee. »Wir haben Licht in Ihrem Zimmer gesehen, wissen Sie, und im Wohnzimmer auch, da bin ich einfach mit hereingekommen.«
Tom nickte höflich, wie eine Spielzeugente. Dachte der Mann etwa, soeben sei ein Mädchen oder ein Junge in sein Schlafzimmer geflüchtet und Héloïse wisse davon? Tom verschränkte die Arme; die Platte war zu Ende.
» Tomme fährt mich morgen nach Moret, Antoine«, sagte Héloïse. »Wir geben dem Automechaniker Bescheid und fahren ihn zu Ihnen nach Hause, wegen des Wagens. Marcel. Kennen Sie ihn?«
»Gut, Héloïse.« Antoine stellte die Kaffeetasse ab, effizient wie immer, selbst wenn es darum ging, heißen Kaffee schnell zu trinken. »Jetzt muß ich aber los. Gute Nacht, Tomme. «
An der Tür tauschten Antoine und Héloïse französische Küsse aus, auf die Wangen, einmal, zweimal. Tom haßte das. Keine French kisses im amerikanischen Sinn, bestimmt nicht – sie waren alles andere als sexy, einfach nur lächerlich. Hatte Antoine die Beine des Jungen sehen können, als der die Treppe hinauflief? Tom glaubte nicht. »Also, Antoine denkt, ich könnte eine Freundin haben!« lachte Tom leise, als Héloïse die Tür geschlossen hatte.
»Aber natürlich nicht! Doch warum versteckst du Billy?«
»Nicht ich verstecke ihn, er versteckt sich. Selbst Henri meidet er. Ausgerechnet den! Na, jedenfalls kümmere ich mich um den Mercedes, chérie. Dienstag.« Vorher ging es nicht: Morgen war Sonntag, und montags blieb ihre Autowerkstatt geschlossen, da sie, wie üblich in Frankreich, samstags geöffnet hatte.
Héloïse streifte ihre hochhackigen Schuhe ab. Nun war sie barfuß.
»Netter Abend? Irgendwelche anderen Gäste?« Tom steckte die Platte zurück in die Hülle.
»Ein Paar aus
Weitere Kostenlose Bücher