Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)
nichts aus dem Geld seiner Familie – auch für den Fall, daß seine Mutter und Tal aus irgendeinem Grund beschließen sollten, ihn zu enterben, vielleicht sogar, weil sie ihn des Vatermords verdächtigten.
»Was du geschrieben hast«, sagte Tom, »sollten wir vernichten. Gefährlich, so etwas zu behalten, findest du nicht?«
Der Junge gab acht, wohin er auf dem Buckelpflaster trat. Er zögerte. »Ja«, sagte er dann bestimmt.
»Sollte jemand das finden, könntest du nicht sagen, es wäre eine Kurzgeschichte, nicht mit all diesen Namen darin.« Natürlich könnte er das, dachte Tom, doch ein bißchen verrückt wäre es schon. »Oder spielst du etwa mit dem Gedanken, alles zu gestehen?« fragte Tom. Schon sein Ton deutete an, das wäre völliger Wahnsinn und käme gar nicht in Frage.
»O nein, sicher nicht.«
Die starke Verneinung gefiel Tom. »Na gut. Mit deiner Erlaubnis werde ich diese Blätter heute nachmittag verschwinden lassen. Möchtest du sie noch mal lesen?« Tom öffnete die Wagentür.
Der Junge schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht. Bin alles hinterher einmal durchgegangen.«
Nach dem Mittagessen in Belle Ombre ging Tom hinaus in den Garten (Héloïse übte am Cembalo im Wohnzimmer, wo der Kamin war). Den Bericht hielt er doppelt gefaltet in der Hand. Frank arbeitete beim Gewächshaus mit dem Spaten, in den Jeans, die Madame Annette in der Maschine für ihn gewaschen und sogar gebügelt hatte. Tom verbrannte die Blätter hinten im Garten, in einer Ecke unweit des Waldes.
Am Abend fuhr er kurz vor acht nach Moret, um Minots Freund Eric Lanz vom Bahnhof abzuholen. Der Junge wollte mit hinfahren und zurück laufen; er bestand darauf, er könne Belle Ombre zu Fuß erreichen. Tom stimmte widerstrebend zu. Vor der Abfahrt hatte er zu Héloïse gesagt: »Billy ißt heute abend auf seinem Zimmer. Er will kein fremdes Gesicht sehen, und ich möchte auch nicht, daß dieser Freund von Reeves ihn trifft.« – »Ach nein?« hatte Héloïse gesagt. »Und warum nicht?« – »Weil er versuchen könnte, Billy für einen kleinen Auftrag zu ködern. Ich will den Jungen nicht in Schwierigkeiten bringen, selbst wenn der Job gut bezahlt wird. Du kennst doch Reeves und seine Kumpane.« Allerdings. Oft hatte Tom ihr erklären müssen, Reeves sei manchmal wirklich nützlich, was bedeuten mochte (und bedeutet hatte), daß Reeves ihm Gefälligkeiten erweisen konnte, die er gelegentlich dringend brauchte, etwa einen neuen Paß zu besorgen, ein sicheres Haus in Hamburg oder als Mittelsmann aufzutreten. Manchmal verstand Héloïse nur die Hälfte von dem, was vor sich ging, die andere Hälfte dagegen wollte sie nicht verstehen. Und das war gut so – auch in dieser Hinsicht konnte ihr neugieriger Vater nicht viel aus ihr herausbekommen.
An einer Lichtung neben der Straße fuhr Tom rechts heran und hielt. »Ein Kompromiß, Billy: Du bist drei, vier Kilometer von Belle Ombre, das ist ein schöner Spaziergang. Ich will dich nicht bis nach Moret mitnehmen.«
»In Ordnung.« Der Junge wollte schon die Tür öffnen.
»Moment. Und das noch.« Tom zog eine flache Dose aus der Hosentasche: Abdeckcreme, die er aus Héloïses Zimmer entwendet hatte. »Ich will nicht, daß man dieses Muttermal sieht.« Er verrieb ein bißchen Creme auf der Wange des Jungen.
Frank grinste. »Damit komm ich mir dämlich vor.«
»Behalte das Zeug. Héloïse wird’s nicht vermissen, sie hat so viel anderes Make-up. Ich fahre einen Kilometer zurück.« Tom wendete. Kaum Verkehr auf der Straße.
Der Junge schwieg.
»Ich will, daß du zu Hause bist, bevor ich zurückkehre. Du darfst nicht später durch die Haustür hereinkommen, das geht nicht.« Tom hielt nur einen Kilometer vor Belle Ombre. »Angenehmen Spaziergang. Madame Annette hat dein Abendessen in meinem Zimmer aufgetragen oder wird das noch tun. Ich hab ihr gesagt, du willst früh ins Bett. Bleib auf dem Zimmer. Alles klar, Billy?«
»Ja, Sir.« Der Junge lächelte, winkte und machte sich auf den Weg nach Belle Ombre.
Tom wendete wieder und fuhr nach Moret. Er erreichte den Bahnhof, als der Zug aus Paris gerade seine Fahrgäste ausspie. Tom war nicht ganz wohl, weil Eric Lanz wußte, wie er aussah, während er keine Ahnung hatte. Langsam ging er zum Ausgangstor, wo ein kleiner Fahrkartenkontrolleur, der eine schäbige Uniform und eine Schirmmütze trug, sich über jede Fahrkarte beugte – und das, obwohl drei Viertel der französischen Passagiere als Studenten, Senioren, öffentliche
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