Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)
Fontainebleau, er ist auch Architekt, jünger als Antoine.«
Tom hörte kaum hin. Er dachte an Franks Bericht auf seinem Tisch, dort, wo sonst die Schreibmaschine stand. Héloïse ging die Treppe hinauf. Meistens benutzte sie sein Bad, nun da der Junge im Gästezimmer schlief. Tom aber stellte weiter die Platten weg. Nur eine noch. Héloïse würde nicht stehenbleiben und sich irgendwelche Papiere auf seinem Schreibtisch ansehen. So war sie nicht. Tom löschte das Licht im Wohnzimmer, schloß die Haustür ab und ging nach oben. Héloïse war in ihrem Zimmer, zog sich wohl gerade aus. Er nahm die Blätter des Jungen, heftete sie mit einer Büroklammer zusammen und legte sie in die Schublade oben rechts. Dann überlegte er es sich anders und steckte sie in eine Mappe mit der Aufschrift »Persönliches«. Der Junge würde sie loswerden müssen, ganz gleich, wie literarisch wertvoll sie sein mochten, dachte Tom: Er würde sie verbrennen, gleich morgen. Natürlich mit Franks Zustimmung.
7
Tags darauf nahm Tom den Jungen mit auf einen Sonntagsausflug in die Wälder westlich von Fontainebleau, wo Frank noch nie gewesen war, in ein Gebiet, wohin sich nur selten Wanderer oder Touristen verirrten. Héloïse wollte nicht mitkommen, sondern lieber in der Sonne liegen und einen Roman lesen, den Agnès Grais ihr geliehen hatte. Sie war blond, wurde aber erstaunlich schnell braun. Héloïse übertrieb es nie mit dem Sonnenbaden, doch manchmal wurde ihre Haut eine Spur dunkler als ihr Haar. Vielleicht eine günstige Genmischung: Ihre Mutter war blond und ihr Vater augenscheinlich brünett, denn sein Haar, oder was davon übrig war, bildete einen dunkelbraunen, innen grauen Kranz um seinen Kopf, was ihm in Toms Augen etwas Heiliges verlieh, obwohl nichts ferner lag als das.
Gegen Mittag fuhr Tom mit Frank nach Larchant, einem verschwiegenen Dorf mehrere Kilometer westlich vonVilleperce. Die Kathedrale von Larchant war seit dem zehnten Jahrhundert etliche Male bis auf die Mauern niedergebrannt. Die kleinen Häuser in den kopfsteingepflasterten Gassen drängten sich eng zusammen; sie wirkten wie Häuschen aus Kinderbüchern, für Erwachsene fast zu klein, und brachten Tom auf den Gedanken, es könnte reizvoll sein, wieder allein zu leben. Doch wann hatte er jemals allein gelebt? In der Kindheit bei der verfluchten, tattrigen Tante Dottie – nur in Geldsachen war sie noch ganz klar –, bis er mit sechzehn ihr Haus in Boston verlassen hatte; dann zwischendurch in schmuddeligen Absteigen Manhattans, bis er wieder bei wohlhabenderen Freunden unterkommen konnte, die ein freies Zimmer hatten oder eine Couch im Wohnzimmer. Und dann Mongibello und Dickie Greenleaf – damals war er sechsundzwanzig gewesen. Warum sollte ihm all das durch den Kopf gehen, während er im Innern der Kathedrale von Larchant zur cremeweißen und staubgrauen Decke hinaufstarrte?
Bis auf sie beide war die Kirche leer. Nach Larchant kamen so wenige Touristen, daß Tom nicht fürchten mußte, der Junge könne erkannt werden. Das wäre zum Beispiel im Schloß von Fontainebleau mit seinen Besuchern aus aller Welt anders gewesen. Außerdem hatte Frank das château wahrscheinlich schon gesehen. Tom fragte nicht nach.
An einem unbewachten Schalter vor der Tür nahm sich Frank ein paar Postkarten von der Kathedrale und steckte pflichtschuldig den geforderten Betrag in den Schlitz eines Holzkastens. Als er sah, daß er die Hand immer noch voller Münzen hatte, warf er den ganzen Rest ein, Francs wie Centimes.
»Geht deine Familie zur Kirche?« fragte Tom, als sie über das steile Kopfsteinpflaster zum Wagen hinabschlenderten.
»Nein, nein«, sagte Frank. »Mein Vater meinte immer, die Kirche wäre kulturell unserer Zeit hinterher, und meine Mutter findet es einfach nur langweilig. Keine zehn Pferde kriegen sie dahin.«
»Liebt deine Mutter Tal?«
Frank sah ihn kurz an und lachte. »Lieben? Meine Mutter läßt sich nichts anmerken. Vielleicht schon. Doch sie wäre nie so dumm, das zu zeigen. Sie war nämlich Schauspielerin. Ich glaube, sie kann auch im wirklichen Leben Rollen spielen.«
»Magst du Tal?«
Frank zuckte die Achseln. »Er ist ganz in Ordnung, denke ich. Gibt Schlimmere. Sportlicher Typ, sehr stark für einen Anwalt. Wissen Sie, ich kümmere mich nicht groß um die zwei.«
Tom war noch immer neugierig, ob die Mutter Talmadge Stevens heiraten könnte, doch was ging ihn das an? Frank war wichtiger, und soweit er sehen konnte, machte sich der Junge
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