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Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)

Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)

Titel: Der Junge, der Ripley folgte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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tatsächlich zwei Zimmer frei. Tom buchte beide auf seinen Namen und fügte hinzu, sie würden in etwa einer halben Stunde eintreffen. Die wenigen letzten Passagiere in der anheimelnden Empfangshalle kamen ihm so unverdächtig vor, daß er es riskierte, gemeinsam mit dem Jungen ein Taxi zu nehmen.
    Ihr Ziel war die Albrecht-Achilles-Straße, die vom Kurfürstendamm abging. Zuerst fuhren sie kilometerweit durch flaches Land, vorbei an Lagerhäusern, Feldern und Scheunen, dann tauchten die ersten Ausläufer der Stadt auf, einige Gebäude, die brandneu wirkten, hellbraune und cremeweiße Hochhäuser, beinahe Wolkenkratzer, mit chromverkleideten, antennenartigen Spitzen. Sie näherten sich Berlin von Norden. Allmählich und eher unangenehm spürte Tom den Enklavencharakter dieses Gebildes namens West-Berlin, das wie eine Insel mitten in sowjetisch kontrolliertem Gebiet lag. Immerhin befanden sie sich innerhalb der Berliner Mauer und wurden, wie früher, von französischen, britischen und amerikanischen Soldaten beschützt. Beim Anblick des einzigen alten, schartigen Gebäudes tat Toms Herz einen Sprung, was ihn selbst überraschte.
    »Das ist die Gedächtniskirche!« sagte er zu Frank, ein Hauch von Besitzerstolz in der Stimme. »Ein bedeutendes Wahrzeichen der Stadt. Zerbombt, wie du siehst, aber man hat sie so stehenlassen.«
    Der Junge blickte gebannt zum Fenster hinaus – als sei das hier Venedig, dachte Tom, und auf seine Art war Berlin ebenso einzigartig.
    Sie ließen den zerfallenen, rotbraunen Turm der Gedächtniskirche links hinter sich zurück. Tom sagte: »Die ganze Gegend hier, alles, was du siehst, war dem Erdboden gleichgemacht. Deshalb sind die Häuser so neu.«
    »Ja, das war alles kaputt!« sagte der Taxifahrer, ein Mann mittleren Alters, auf deutsch. »Sind Sie Touristen? Zum Vergnügen hier?«
    »Ja.« Tom freute sich, daß der Mann reden wollte. »Wie wird das Wetter?«
    »Gestern Regen, heute bleibt es so.«
    Bewölkter Himmel, doch es war trocken. Schnell fuhren sie über den Kurfürstendamm und hielten vor einer roten Ampel am Lehniner Platz.
    »Sieh all diese Geschäfte, wie neu sie sind«, sagte Tom zu dem Jungen. »Ich mag den Ku’damm wirklich nicht besonders.« Er dachte an seine erste Reise nach Berlin (allein), wie er auf dem langen, schnurgeraden Kurfürstendamm hin und her marschiert war und vergeblich versucht hatte, eine Atmosphäre zu spüren, abseits der schönen Schaufenster, der Chrom-und-Glas-Vitrinen auf dem Bürgersteig mit Porzellan, Armbanduhren und Handtaschen in den Auslagen. Kreuzberg, der heruntergekommene alte Stadtteil Berlins, wo jetzt so viele türkische Arbeiterfamilien wohnten, hatte mehr Charakter.
    Der Taxifahrer bog links in die Achillesstraße ein – an der Ecke eine Pizzeria, an die Tom sich erinnerte, rechts ein Supermarkt, der jetzt geschlossen war. Das Hotel Franke lag zur Linken hinter einer Straßenbiegung. Tom zahlte mit Scheinen des deutschen Geldes, das er noch übrig hatte (fast sechshundert D-Mark).
    Am Empfang füllten sie weiße Kärtchen aus, die der Mann ihnen gab, und mußten beide in ihren Pässen nachsehen, um die richtigen Nummern einzutragen. Ihre Zimmer lagen im selben Stock, doch nicht nebeneinander. Tom hatte das elegantere Hotel Palace unweit der Gedächtniskirche meiden wollen, weil er dort einmal übernachtet hatte: Vielleicht hätte man sich dort an ihn erinnert und es auffällig finden können, daß er in Begleitung eines Jungen reiste, der nicht mit ihm verwandt war. Was sich andere dabei denken mochten, auch im Hotel Franke, war ihm egal, doch er nahm an, daß Frank Pierson in einem bescheidenen Hotel wie dem Franke weniger Gefahr liefe, erkannt zu werden.
    Tom hing eine Hose auf, schlug die Überdecke zurück und warf seinen Pyjama auf das weiße, zugeknöpfte, mit Daunen gefüllte Ding, das als Laken und Decke zugleich diente – eine deutsche Eigenheit, die er von früher kannte. Das Fenster bot einen durch und durch tristen Blick auf einen grauen Hinterhof, ein weiteres sechsstöckiges Betonhaus, das quer zum Hotel stand, und ein paar Baumkronen in der Ferne. Mit einem Mal durchströmte ihn ein unerklärliches Gefühl des Glücks, einer vielleicht illusorischen Freiheit. Er schob das Lederetui mit dem Paß und den französischen Franc ganz unten in den Koffer, klappte den Deckel zu, verließ das Zimmer und schloß ab. Dem Jungen hatte er gesagt, er werde ihn in fünf Minuten abholen. Er klopfte an dessen Tür.
    »Tom? Kommen Sie

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