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Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)

Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)

Titel: Der Junge, der Ripley folgte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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Schlägen. Drinnen näherten sich polternde Schritte, und Eric, den Mund dicht an der Türritze, sagte seinen Namen.
    Jemand schloß die Tür auf, ein großer, breit gebauter Mann stand vor ihnen, winkte sie herein, murmelte etwas auf deutsch mit tiefer Stimme. Auch er war Türke, das sah Tom, denn sein Gesicht war so dunkel, wie es auch bei einem schwarzhaarigen Deutschen nie sein konnte. Tom trat ein und war sofort von einem scheußlichen Geruch umgeben, vermutlich Lammfleisch, das mit Kohl vor sich hinköchelte. Es wurde noch schlimmer, denn der Mann führte sie geradewegs in die Küche, zur Quelle des Gestanks. Ein paar kleine Kinder spielten auf dem Linoleumboden; am Herd stand eine alte Frau mit kleinem Kopf und dünnem grauen Haar und rührte hektisch in einem Topf. Wohl die Großmutter, dachte Tom, womöglich eine Deutsche, türkisch sah sie nicht aus, aber sicher war er nicht. Lanz und der stämmige Mann setzten sich an einen runden Tisch. Sie drängten auch Tom, Platz zu nehmen, was er widerstrebend tat. Trotzdem wollte er sich die Unterhaltung, wenn irgend möglich, nicht entgehen lassen. Was hatte Lanz hier eigentlich verloren? Tom hatte Mühe, irgend etwas zu verstehen, denn Erics Deutsch war mit Slangwörtern gespickt, das des Türken gebrochen und abgehackt. Sie sprachen über Zahlen: »Fünfzehn… dreiundzwanzig«, und Preise: »Vierhundert Mark…« Fünfzehn was? Da fiel Tom ein, daß Eric gesagt hatte, der Türke arbeite auch als Mittelsmann für die Berliner Anwälte, die Einwanderern aus Pakistan und Bangladesch Aufenthaltsgenehmigungen für West-Berlin ausstellten.
    »Gefallen mir nicht, diese ekligen kleinen Aufträge«, hatte Eric gesagt, »doch wenn ich nicht meinerseits Genehmigungen vermittle und irgendwie mit Haki zusammenarbeite, erledigt er für mich jene Arbeiten nicht, die wichtiger sind als seine stinkenden Einwanderer.« Ja, darum ging es: Einige Immigranten, ohne jede Ausbildung und Analphabeten selbst in ihrer Muttersprache, nahmen einfach die U-Bahn von Ost- nach West-Berlin, wo Haki sie abholte und zu den richtigen Anwälten brachte. Dann konnten sie Geld von der Stadt beziehen, während ihre Behauptungen, »politische Flüchtlinge« zu sein, überprüft wurden, was Jahre dauern konnte.
    Haki war entweder hauptberuflich Gauner oder arbeitslos und »auf Stütze« (vielleicht auch beides), denn was hatte er sonst um diese Zeit zu Hause zu suchen? Er schien höchstens fünfunddreißig und bärenstark. Die Hose, für seine Wampe schon lange zu eng, hielt an der Taille nur noch durch einen Bindfaden zusammen. Am offenen Hosenlatz waren die Knöpfe zu sehen.
    Haki holte einen furchtbaren Schädelspalter hervor, einen selbstgebrannten Wodka – so sagte er. Oder lieber ein Bier? Tom probierte den Wodka und entschied sich für das Bier. Es kam aus einer großen, halbleeren Flasche, war schal und lauwarm. Haki ging in ein anderes Zimmer, um etwas zu holen.
    »Haki ist Bauarbeiter«, erklärte Eric, »aber man hat ihn krank geschrieben, wegen einer Verletzung – ein Arbeitsunfall. Selbstverständlich bekommt er ›Arbeitslosenunterstützung‹, wie wir sagen.«
    Tom nickte, er kannte das deutsche Wort. Haki kam mit einem schmutzigen Schuhkarton zurück. Der Boden bebte unter seinen schweren Tritten. Er öffnete den Karton und holte ein kleines, faustgroßes, braun eingewickeltes Päckchen hervor. Eric schüttelte es. Ein Rasseln wie von Perlen – oder von Drogenkügelchen? Lanz zückte die Brieftasche und gab Haki einen Hundertmarkschein.
    »Bloß Trinkgeld«, sagte er zu Tom. »Langweilen Sie sich? Wir gehen in einer Minute.«
    »Aina Minuute!« plapperte das schmutzstarrende kleine Mädchen nach, das auf dem Boden saß und sie beäugte.
    Tom zuckte zusammen: Wieviel verstanden die Kinder von dem, was sie sagten? Auch die Alte, die wie eine Hexe aus Macbeth oder wie eine Irrenhäuslerin im Topf rührte, starrte ihn an. Er sah, daß sie leicht zitterte, als leide sie an einer Nervenkrankheit.
    »Wo ist seine Frau?« murmelte Tom dem Deutschen zu. »Die Mutter der Kinder?«
    »Ach, die arbeitet. Eine Deutsche, aus Ost-Berlin. Ein trauriger Fall, aber wenigstens hat sie Arbeit. Na ja…« Eric sprach leise und bedeutete ihm mit einer Geste seiner schlaffen Hand, er könne gerade nicht mehr dazu sagen.
    Tom war heilfroh, als Eric aufstand. Eine halbe Stunde hatten sie dort verbracht, ihm war es viel länger vorgekommen. »Auf Wiedersehen«, und plötzlich standen sie wieder auf dem Gehweg

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