Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)
und spürten das klare Sonnenlicht auf ihren Gesichtern. Das Päckchen beulte Erics Jackettasche aus. Er sah sich um, bevor er die Autotür aufschloß. Sie fuhren los. Tom war neugierig, was darin sein könne, doch eine Frage fände Lanz womöglich unverschämt.
»Komisch, das mit seiner Frau, wie Sie sie nannten. Eine Ost-Berliner Prostituierte, wurde in einer Art Jeep von amerikanischen Soldaten herübergeschmuggelt! Hier geht es ihr ein bißchen besser – sie schafft an, hängt aber außerdem noch an der Nadel. Irgendwie gelingt es ihr zu arbeiten, irgendein Job, öffentliche Toiletten putzen, was weiß ich. Wußten Sie, daß amerikanische Soldaten in West-Berlin sich jetzt keine Huren mehr leisten können, weil der Dollar so tief steht? Sie müssen deshalb nach Ost-Berlin ausweichen. Die Kommunisten sind fuchsteufelswild, weil es bei ihnen gar keine Prostitution geben dürfte – offiziell jedenfalls.«
Tom lächelte, mäßig amüsiert, und zwang sich, an andere Dinge zu denken, um die kommenden Stunden zu überstehen. Was waren das für Leute, diese Entführer? Junge Amateure? Oder eher ausgekochte Profis? Gehörte auch ein Mädchen dazu? Manchmal sehr nützlich, so eine junge Frau, als unschuldige Fassade. Vielleicht wollten sie wirklich nur Geld, wie Eric gesagt hatte, und würden weder Frank noch sonstjemand ein Haar krümmen.
In Erics Wohnung wählte Tom die Nummer von Belle Ombre mit derselben Vorwahl wie Paris. Es klingelte sechs-, siebenmal, und Tom stellte sich vor, Héloïse sei spontan nach Paris gefahren und mit Noëlle nachmittags ins Kino gegangen, Madame Annette dagegen sitze chez Marie et Georges, trinke einen Tee oder ein kaltes Mineralwasser und tausche mit einer anderen femme de ménage den neuesten Klatsch aus. Dann, beim neunten Klingeln, meldete sich Madame Annette: »’allô?«
»Madame Annette, c’est Tomme. Wie geht es Ihnen in Belle Ombre?«
» Très bien, Monsieur Tomme! Wann kommen Sie nach Hause?«
Tom lächelte erleichtert. »Wahrscheinlich Mittwoch, weiß noch nicht. Machen Sie sich keine Sorgen. Ist Madame Héloïse zu Hause?«
Sie war da, aber Madame Annette mußte sie erst von oben holen.
»Tomme!« Héloïse war schnell am Apparat, sie mußte in seinem Zimmer abgehoben haben. »Wo bist du? In Hamburg?«
»Nein, ich… reise ein bißchen herum. Hast du geschlafen, habe ich dich geweckt?«
»Ich habe meinen Finger in einer Lösung gebadet, die Madame Annette für mich angesetzt hat, deshalb dachte ich, sie könnte ans Telefon gehen.«
»Deinen Finger?«
»Ja, ein vasistas ist daraufgefallen, gestern beim Gießen im Gewächshaus. Die Kuppe ist angeschwollen, aber Madame Annette glaubt nicht, daß sich der Nagel ablösen wird.«
Tom seufzte mitfühlend. Sie meinte eines der Fenster, die angelehnt im Gewächshaus standen. »Soll doch Henri sich um das Gewächshaus kümmern!«
»Ach, Henri… Der Junge ist immer noch bei dir?«
»Ja.« Ob jemand in Belle Ombre angerufen und nach Frank gefragt hatte? »Fliegt morgen nach Hause – vielleicht. Héloïse«, fuhr er rasch fort, bevor sie einhaken konnte, »sollte irgendwer anrufen und nach mir fragen, dann sage, ich wäre in Villeperce spazierengegangen. Ich wäre zu Hause, aber gerade nicht da. Und das bitte immer, wenn es ein Ferngespräch ist, egal, wer anruft.«
»Und warum?«
»Weil ich schon sehr bald nach Hause kommen und dann genau das tun werde. Mittwoch, glaube ich. Hier in Deutschland reise ich zur Zeit herum, damit mich niemand erreichen kann. Mindestens nicht im Moment.«
Sie schluckte das ohne Widerspruch.
»Je t’embrasse«, sagte er zuletzt. Schon ging es ihm viel besser. Manchmal, das mußte Tom zugeben, kam er sich vor wie ein verheirateter Mann, grundsolide und geliebt oder was immer man dann zu empfinden hatte. Und das, obwohl er seine Frau gerade belogen hatte – eine winzigkleine Lüge, und zudem nicht aus den üblichen Gründen.
Am Abend stand Tom gegen elf in einer Bar, wo es lustiger (und lustvoller) zuging als zuvor in Kreuzberg, einer Bar für Männer, doch wesentlich schicker als die, in der er mit Frank gewesen war. Hier führte eine ringsum verglaste Treppe zu den Toiletten hinauf, und die Gäste auf den Stufen sprachen andere Männer an oder versuchten wenigstens zu flirten.
»Ganz amüsant, nicht?« Eric wartete auf jemanden. Sie standen an der Theke, weil sie keinen freien Tisch fanden. Die Bar war zugleich eine Disco, wie immer in Berlin. »Leichter, hier –« Ein Mann stieß
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