Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)
konnte. Was war mit Peter? Hoffentlich hatte er nach den Schüssen die Flucht ergriffen.
Wie schnell würde die Leiche gefunden werden? In einer Stunde, von einem neugierigen Hund, gefolgt von seinem Herrchen, einem Bauern vielleicht? Vom Feldweg aus war der Tote nicht zu sehen. Tot war der Mann, da war Tom sich fast sicher, nicht nur bewußtlos. Ein Seufzer entfuhr ihm, beinah ein Stöhnen; er schüttelte den Kopf und starrte den braunen Schweinslederkoffer zwischen seinen Knien an, der zwei Millionen Dollar in D-Mark-Scheinen enthielt. Tom lehnte sich zurück und entspannte sich. Tegel mußte die Endstation sein, dachte er. Er könnte durchaus ein bißchen schlafen, lehnte aber nur den Kopf gegen das Fenster.
Der Bus erreichte Tegel – offenbar nur die U-Bahn-Station, nicht der Flughafen. Tom fand sofort den Taxistand und bat einen Fahrer, ihn in die Niebuhrstraße zu bringen. Die Nummer nannte er nicht. Er werde das Haus erkennen, sagte er, wenn sie die Straße erreichten. Tom sank in die Polster und zündete sich eine Zigarette an. Nur Kratzer an den Knöcheln, nichts Ernstes. Wenigstens war es sein eigenes Blut. Ob die Entführer es noch einmal versuchen würden? Paris anzurufen, einen zweiten Termin zu verabreden? Oder waren sie jetzt so verängstigt und durcheinander, daß sie Frank freilassen würden? Das wäre dilettantisch, doch wie professionell waren diese Leute?
Irgendwo in der Niebuhrstraße stieg Tom aus, zahlte, gab dem Fahrer ein Trinkgeld und ging zu Erics Wohnhaus. Er hatte den Schlüsselring dabei, den ihm Lanz gegeben hatte, schloß mit einem der beiden Schlüssel die Haustür auf und nahm den Aufzug. Oben klopfte er an die Wohnungstür und drückte kurz auf die Klingel. Es war fast halb sieben.
Er hörte Schritte, dann fragte Eric auf deutsch:
»Wer ist da?«
»Tom.«
»Aah!« Eine Kette klirrte, ein Riegel wurde zurückgeschoben.
»Da bin ich wieder«, flüsterte Tom gutgelaunt und stellte den Koffer in der Diele ab, kurz vor der Schwelle zum Wohnzimmer.
»Tom, warum haben Sie Peter weggeschickt? Er hat sich solche Sorgen gemacht, daß er zweimal hier angerufen hat! Und den Koffer haben Sie wieder mitgebracht!« Eric schüttelte lächelnd den Kopf, wie über sinnlose Sparsamkeit.
Tom zog die Jacke aus. Die Augustsonne schien schon warm durch Erics Fenster.
»Zwei Schüsse, hat Peter gesagt. Also, was ist passiert? Setzen Sie sich, Tom! Einen Kaffee? Oder einen Drink?«
»Zuerst einen Drink. Gin-Tonic, wäre das möglich?«
Ja, meinte Eric. Während er den Drink mixte, ging Tom ins Bad und wusch sich die Hände mit warmem Wasser und Seife.
»Wie sind Sie zurückgekommen? Peter sagte, Sie hätten seine Pistole genommen.«
»Die habe ich noch.« Nun stand Tom im Wohnzimmer, eine Gauloise in der einen, den Drink in der anderen Hand. »Mit Bus und Taxi. Das Geld ist immer noch da drin.« Ein Kopfnicken zum Koffer hinüber. »Deshalb hab ich ihn wieder mitgebracht.«
»Immer noch?« Eric bekam den Rosenmund nicht zu. »Wer hat geschossen?«
»Ich. Aber nur in die Luft.« Tom hatte sich heisergeschrien. Er setzte sich. »Einen hab ich mit Ihrem Koffer am Kopf erwischt. Den Italiener vermutlich. Er ist tot, glaube ich.«
Eric nickte. »Peter hat ihn gesehen.«
»Wirklich?«
»Ja. Ich muß mir was anziehen, Tom. So komm ich mir albern vor.« Im Pyjama eilte Eric ins Schlafzimmer und kam in seinem schwarzseidenen Morgenmantel zurück. Er band den Gürtel zu und fuhr fort: »Peter sagte, er hätte etwa zehn Minuten gewartet, dann wäre er nachsehen gegangen, weil er dachte, Sie könnten tot oder verletzt sein. Er sah einen Mann hinter dem Schuppen liegen.«
»Genau«, sagte Tom.
»Also haben Sie einfach… Warum sind Sie nicht zu Peter gegangen, der bei der Kirche wartete?«
Bei der Kirche! Tom lachte und streckte die Beine aus. »Keine Ahnung. Kann sein, daß ich Angst hatte. Ich habe nicht nachgedacht, nicht mal einen Blick zur Kirche geworfen.« Er nahm noch einen Schluck und sagte: »Eric, jetzt bitte den Kaffee und dann ein bißchen schlafen.«
Bei den letzten Worten klingelte das Telefon.
»Das ist bestimmt wieder Peter.« Eric ging an den Apparat: »Gerade zurückgekommen! …Nein, alles in Ordnung, er ist nicht verletzt… Mit Bus und Taxi!« Er lachte über etwas, das Peter sagte. »Ich werd’s ihm ausrichten. Ja, sehr witzig… Wenigstens sind wir alle in Sicherheit… Hier! Ist das zu glauben?« Eric hielt den Hörer gegen die Brust, immer noch breit grinsend. »Peter
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