Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)
des Morgengrauens, doch Lübars’ wenige Straßenlampen brannten weiter. Peters Wagen war nicht zu sehen. In der Ferne schlugen Hunde an – Tom erschauerte, als ihm klar wurde, daß das die scharfen ostdeutschen Hunde hinter der Mauer waren. Aufgeregt klangen sie nicht. Ein leichter Wind wehte von der Mauer herüber; vielleicht hatte er nur den Fetzen einer Unterhaltung der Tiere vernommen, die an ihren über Drähte gleitenden Laufleinen hingen. Tom wandte den Blick vom unheimlichen Licht der Scheinwerfer ab und konzentrierte sich darauf zu horchen.
Er wartete auf Motorgeräusche von einem Auto, denn der Mann, der das Geld abholte, würde sicher nicht über das Feld hinter ihm kommen.
Tom hatte den Koffer gegen die Holzwand des Schuppens gelehnt und schob ihn nun mit dem Fuß sachte noch näher heran. Er nahm Peters Pistole aus der Jackentasche, entsicherte sie und steckte sie wieder ein. Still war es, so still, daß Tom glaubte, er würde jemanden im Schuppen, hinter der Bretterwand, atmen hören können. Er strich mit den Fingerspitzen über die Planken. Das rauhe Holz war hier und da rissig.
Er mußte pinkeln – Frank fiel ihm ein, im Grunewald, doch er erleichterte sich trotzdem, solange er noch konnte. Was wollte er überhaupt hier? Warum wartete er noch? Um einen weiteren Blick auf die Entführer zu erhaschen – in dieser Finsternis? Um sie abzuschrecken und das Geld zu retten? Bestimmt nicht. Um Frank zu retten? Hierzubleiben half dabei nicht unbedingt, womöglich ganz im Gegenteil. Tom begriff, daß er die Entführer haßte und es genießen würde, zurückzuschlagen. Er wußte auch, daß ein solcher Wunsch unlogisch war, weil sie in der Mehrzahl sein dürften. Und dennoch blieb er hier, wo er verwundbar war, ein leichtes Ziel für eine Kugel bot. Und wo die Entführer wahrscheinlich leicht fliehen könnten.
Tom richtete sich auf, als er Motorgeräusche aus Richtung Alt-Lübars hörte. Oder war es Peter, der wegfuhr? Der Wagen näherte sich aber brummend; Tom sah sein Standlicht matt glimmen. Ganz langsam rollte er auf den Feldweg, an dem der Schuppen stand, holperte weiter, schaukelte über die Schlaglöcher. Etwa zehn Meter rechts von ihm hielt er. Dunkelrot, glaubte Tom, doch sicher war er nicht. Er preßte sich gegen die Rückwand des Schuppens und spähte um die Ecke – das Licht der Scheinwerfer erfaßte den Schuppen nicht.
Die linke Hintertür des Wagens schwang auf, jemand stieg aus. Die Scheinwerfer erloschen, und der Mann knipste eine Taschenlampe an. Er schien untersetzt, mittelgroß. Entschlossen marschierte er los, ging aber langsamer, als er das Feld betrat, blieb stehen und winkte seinen Spießgesellen im Wagen zu, als wolle er sagen: Soweit alles klar.
Wie viele im Auto, fragte sich Tom. Einer? Oder zwei? Wohl eher zwei, weil der Mann hinten ausgestiegen war.
Langsam kam er näher, die Taschenlampe in der Linken, die Rechte zog etwas aus der Hosentasche, womöglich eine Pistole. Rechts von Tom ging er auf die Rückwand des Schuppens zu.
Tom hob den Koffer auf und faßte ihn fest am Griff. Als der Mann um die Ecke bog, schwang Tom den Koffer und traf ihn links am Kopf: ein dumpfer Aufprall, nicht laut, aber satt, dann ein zweiter, als der Kopf des Mannes gegen die Schuppenwand schlug. Tom schwang den Koffer noch einmal, wieder links gegen den Kopf des zu Boden gehenden Mannes. Und als Tom ihm von oben den Griff von Peters Pistole in die linke Schläfe hieb, fand er sein Ziel durch das bleiche Weiß des Hemdkragens über einem vielleicht schwarzen Pullover. Jetzt regte der Mann sich nicht mehr, er hatte nicht einmal geschrien. Der Lichtstrahl der Taschenlampe fiel links auf den Boden. Tom faßte Peters Pistole so, daß er feuern konnte, hielt den Lauf nach oben gerichtet.
Hysterisch schrie er etwas auf deutsch – »Gott, das Schwein!« oder »Hab das Schwein«. Dabei schoß er zweimal in die Luft.
Wieder schrie er etwas, wieder wirren Unsinn, einen Fluch vielleicht, und trat gegen die Schuppenwand. Er merkte, wie schrill er klang und daß er völlig grundlos kreischte.
Jenseits der Mauer jaulten die Hunde, erregt durch die Schüsse.
Beim Klack einer zuschnappenden Autotür schrak Tom zusammen, als werde auf ihn geschossen. Er lugte um die Ecke des Schuppens und sah gerade noch, wie der Fahrer das linke Bein in den Wagen schwang – die Innenbeleuchtung war kurz angegangen. Dann schlug die Fahrertür zu, der Wagen setzte rechts von Tom zurück, das Standlicht ging an. Er rollte
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