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Der Junge, der Träume schenkte

Der Junge, der Träume schenkte

Titel: Der Junge, der Träume schenkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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unsicheren Schrift eines Kindes auf die Kalotte: Santo und Carmelina Filesi.
    Christmas nahm die U-Bahn zurück nach Hause. Das Radio hatte er in einer großen Keksdose dabei, die Cyrils Frau mit einer Schleife geschmückt hatte. In der Monroe Street Nummer 320 überreichte er dem Freund sein Hochzeitsgeschenk.
    Santo war so gerührt und beschämt, dass er keinen Ton hervorbrachte.
    »He, wir zwei sind doch die Diamond Dogs, oder nicht?«, sagte Christmas und klopfte ihm auf die Schulter. Sie plauderten noch ein wenig, und Santo erzählte ihm, er habe das Geschäft gewechselt. »Ich bin jetzt erster Verkäufer in der Bekleidungsabteilung bei Macy’s.«
    »Na dann, herzlichen Glückwunsch«, meinte Christmas und entschuldigte sich dann, er müsse nach Hause und seinen alten grauen Anzug auf Vordermann bringen, weil er am Abend ins Theater gehe, um die Geschwister Astaire zu sehen.
    Da leuchteten Santos Augen auf. Er nahm Christmas beim Arm, rief seiner Mutter zu, sie solle Carmelina ausrichten, er sei bald zurück, und zog den Freund hinter sich her bis in die 34th Street. Dort betrat er das Macy’s, tuschelte mit dem Geschäftsführer und führte Christmas schließlich in eine Umkleidekabine. Er ließ ihn einen dunkelblauen Wollanzug anprobieren, bat eine der Schneiderinnen, die Hose unverzüglich mit einem daumenbreiten Aufschlag umzunähen und ließ danach alles einpacken. »Das ist der passende Anzug für den Anführer der Diamond Dogs«, sagte er.
    Während sie dann gemeinsam zu ihrem alten Haus in der Monroe Street zurückkehrten, sprach keiner von beiden mehr ein Wort, denn so funktionierte es zwischen ihnen.
    Abends im Alvin Theater sah Christmas todschick aus, zumindest fühlte er sich so. Und Maria schmiegte sich die ganze Vorstellung über an seinen Arm, während Adele und Fred Astaire auf der Bühne ihren natürlichen Charme versprühten, sie in der Rolle der Frankie, er als Jimmy Reeve, und gemeinsam Let’s kiss and Make Up sangen.
    Nach der Vorstellung führte Maria Christmas zu den Künstlergarderoben, um ihm Victor Arden, den Pianisten, vorzustellen. Während sie sich unterhielten, kam Adele Astaire in einem schwarzen Kaschmirmantel vorbei.
    »Brava!«, rief Christmas ihr auf Italienisch zu.
    Scherzhaft verbeugte sich die Schauspielerin vor ihm.
    Ihr Bruder Fred kam aus seiner Garderobe und protestierte: »Und ich, werde ich nicht gelobt?«
    Da sagte Christmas: »Sie tanzen nicht einfach bloß, Sir. Sie gleiten. Es sieht aus, als liefen Sie auf einer Eisscholle Schlittschuh. Unglaublich.« Dann verbeugte er sich seinerseits vor Fred Astaire. Die Geschwister brachen in Gelächter aus und gingen Arm in Arm davon.
    Die vielen durchlebten Emotionen waren es, die Christmas am Abend noch immer nicht nach Hause gehen ließen. Cyrils Erfindungsgeist, Santos Freundschaft und der Zauber des Theaters hatten ihn zu sehr aufgewühlt. Tausend Gedanken schwirrten ihm im Kopf herum. Er hatte nie zuvor in seinem Leben ein Musical gesehen. Im Theater war alles vollkommen. Sogar das Leben ist im Theater vollkommen, dachte Christmas. Ungeachtet der Kälte knöpfte er seinen Mantel nicht zu, denn er wollte im Gehen den nagelneuen blauen Wollanzug bewundern.
    Als ihm bewusst wurde, dass er vor dem Funkhaus von N. Y. Broadcast stand, blickte er hinauf zu den großen Buchstaben am Eingang. Hinter der Drehtür konnte er schemenhaft den Nachtwächter erkennen, der an seinem Schreibtisch saß und schlief. Im ganzen Gebäude herrschte Dunkelheit, bis auf einen Lichtschein ganz oben im siebten Stock, der für die Büros der Geschäftsleitung reserviert war. Tastend griff Christmas in seine Tasche und stieß auf den Schlüssel zum Hintereingang. Da lächelte er, machte kehrt und bog in die Seitengasse ein. Er schloss die Tür zum Lager auf, lief hindurch, ohne das Licht einzuschalten, und machte sich auf den Weg hinauf in den zweiten Stock ins Studio drei, einen großen Aufnahmeraum, aus dem die Hörspiele gesendet wurden, mit neun Mikrofonen auf einem blank polierten Tisch in der Studiomitte.
    Christmas betrat den im Halbdunkel liegenden Raum, setzte sich an den Tisch, ließ seinen Mantel zu Boden gleiten, zog die Anzugjacke aus und krempelte die Ärmel seines Hemdes hoch, wie er es bei den Schauspielern gesehen hatte. Er zog ein Mikrofon zu sich heran und schaltete es ein. Ein elektrostatisches Knistern war zu hören, dann nichts mehr.
    Christmas musste an die gespannte Stille denken, kurz bevor sich im Theater der Vorhang

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