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Der Junge, der Träume schenkte

Der Junge, der Träume schenkte

Titel: Der Junge, der Träume schenkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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zurück und hielt die Fotos an ihre Brust gedrückt.
    Als das imposante Eingangstor zur Villa in Holmby Hills vor ihnen auftauchte, nahm Ruth eines der Fotos zur Hand. Ausdruckslos sahen Mrs. Baileys Augen sie an. Ruth drehte das Bild herum. Mr. Baileys Schrift war klein und ordentlich. Wonderful Photos – 1305 Venice Boulevard – 4. Stock.
    Ruths Vater hielt den Wagen an, stieg aus, öffnete das Tor und setzte sich wieder hinter das Steuer.
    »Ich habe einen Job«, sagte Ruth da. »Ich gehe nicht zurück aufs College, und ich werde hier nicht wohnen bleiben.«
    Weder Vater noch Mutter drehten sich zu ihr um. Reglos saß Sarah Isaacson da, elegant und beherrscht wie immer. Der Vater hielt das Lenkrad fest umklammert. Ruth sah, dass seine Knöchel weiß hervortraten.
    »Fahren wir«, sagte Mrs. Isaacson.
    Ihr Mann gab Gas.

41
    Manhattan, 1927
    »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Am nächsten zehnten März, zu Ehren des Todestages von Harriet Tubman, werde ich auf nichts spucken, was dir gehört.« Cyril lachte und schwenkte eine alte Zeitung vor Christmas’ Nase. »Und weißt du, wieso nicht?«
    »Weil ich so ein toller Lagergehilfe bin und du dank mir die oberen Etagen nicht mehr betreten musst«, entgegnete Christmas grinsend.
    »Red keinen Unsinn. Ich werde auf nichts spucken, was dir gehört, weil du gar kein Weißer bist.« Lauthals lachend schlug Cyril die Zeitung auf den Werktisch. »Sieh mal. Alabama, 1922. Jim Rollins, einer, der noch schwärzer ist als ich, schläft mit einer Weißen. Miscegenation , Rassenmischung, eine schwere Straftat. Früher wurdest du für so etwas gehängt, Junge. Dann aber kommt heraus, dass die Frau, mit der Jim Rollins geschlafen hat, Italienerin ist. Hier steht es ... Edith Labue. Und er wird freigesprochen. Ihr Italiener seid nämlich für die Amerikaner keine Weißen. Ihr habt, was sie den ›Niggertropfen‹ nennen.« Wieder lachte Cyril. »Wir sind so gut wie Brüder, Junge, und darum stehst du am zehnten März nicht auf meiner Liste von Weißen, auf die ich spucke.«
    »Wo hast du denn die Zeitung aufgetrieben?«
    »Im Archiv meines Schwagers. Er kämpft für die Bürgerrechte von uns arrrmen Niggern, junger Herre Ghrisdmas «, scherzte Cyril. »Ich habe ihm von dir erzählt, und dabei ist diese Geschichte herausgekommen.«
    »Und wieso hast du mit deinem Schwager über mich gesprochen, Bruder? «
    »Ich habe ihm erzählt, für einen Weißen wärst gar nicht so übel. Und die Erklärung dafür ist tatsächlich, dass du gar kein Weißer bist«, antwortete Cyril wieder lachend. »Und jetzt mach dich an die Arbeit, du Trödelfritze. Man sieht wirklich, dass du Niggerblut in dir hast, für einen echten Weißen fehlt dir der Arbeitseifer.« Damit reichte er Christmas einen Karton. »Ich nehme an, es macht dir nicht allzu viel aus, dieses Mischpult oben im Konzertsaal einzubauen. Aber bleib nicht den ganzen Vormittag bei deiner Schönen. Heute arbeiten wir nur einen halben Tag, und es gibt noch eine Menge zu tun.«
    Christmas nahm den Karton entgegen. »Wenn ich mich beeile, zeigst du mir dann, wie man ein Radio baut? Ich möchte es einem Freund schenken, der bald heiratet.«
    Einen Augenblick lang sah Cyril ihn schweigend an, als müsste er eine bedeutsame Entscheidung treffen. »Da wir heute nur einen halben Tag arbeiten«, sagte er, »komm doch, wenn du nichts Besseres vorhast, zum Essen mit zu mir nach Hause. Da müsste ich noch ein paar fertige Radios haben.«
    »Zu dir nach Hause?«, fragte Christmas erstaunt.
    »Was ist, ekelst du dich davor, das Haus eines Niggers zu betreten?«
    Christmas lachte. »Was willst du für das Radio haben?«
    Cyril machte eine verächtliche Handbewegung. »Du bist wirklich zur Hälfte weiß, Junge. Wenn ein Schwarzer wie ich zu dir sagt, er hat ein Radio, und er lädt dich zum Essen zu sich nach Hause ein, heißt das, er schenkt es dir. Du hast echt keine Ahnung von Schwarzen.«
    »Wirklich?«
    »Was wirklich? Dass du keine Ahnung von Schwarzen hast? Allerdings.«
    »Du bist super, Cyril«, sagte Christmas. »Du bist ein wahrer Freund. Ich werde mich revanchieren. Ich schwör’s dir. Eines Tages werde ich mich revanchieren.«
    »Ach, hör schon auf, Pate «, brummte Cyril und beugte sich über seinen Tisch. »Jetzt beeil dich mit dem Mischpult. Weißt du wenigstens noch, wie es funktioniert?«
    »Klar doch«, erwiderte Christmas, während er sich zur Tür wandte.
    »Zuerst musst du alles ausstecken ...«
    »Ich weiß, Bruder, ich

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