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Der Junge, der Träume schenkte

Der Junge, der Träume schenkte

Titel: Der Junge, der Träume schenkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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Cettas Überraschung nahm der Kapitän Natale auf seinen Arm, umfasste ihren Busen und hob ihn an. Cetta stürzte sich auf ihren Sohn und riss ihn wieder an sich, bevor sie beschämt die Augen niederschlug. Zuvor jedoch sah sie, dass der Mäuserich lachte und dem Kapitän zunickte. Als sie den Blick wieder hob, stand der Mäuserich bei einem der Inspektoren der Einwanderungsbehörde, sprach leise mit ihm und steckte ihm einige Geldscheine zu. Dann zeigte er auf Cetta.
    Der Kapitän griff nach ihrem Po. »Jetzt bist du in noch besseren Händen, als meine es waren«, sagte er grinsend zu ihr und ging.
    Während sie zusah, wie er sich entfernte, beschlich Cetta ein Gefühl des Verlustes, das sie sich nicht erklären konnte. So als wäre die Gesellschaft eines solchen Widerlings immer noch besser als die Einsamkeit, die nun vor ihr lag. Vielleicht hätte sie lieber nicht von zu Hause weglaufen und nach Amerika gehen sollen.
    Als die Schlange kaum merklich vorrückte, blickte Cetta erneut zu dem Zollinspektor hinüber und sah, dass er sie zu sich heranwinkte. Neben dem Inspektor stand nun nicht mehr der Mäuserich, sondern ein großer Mann mit buschigen Augenbrauen und einer Tweedjacke, die über seinen breiten Schultern spannte. Er war um die fünfzig und hatte sich eine lange Haarsträhne quer über den Kopf gekämmt, um die kahlen Stellen auf seinem Schädel zu verdecken. Trotz dieses lächerlichen Versuchs strahlte er eine beunruhigende Kraft aus, wie Cetta im Näherkommen bemerkte.
    Der Mann und der Zollinspektor redeten auf sie ein. Cetta verstand kein Wort, doch bald bemerkte sie, dass die beiden sich mit immer lauterer Stimme wiederholten, als hielten sie sie für taub, als wäre ihnen nicht klar, dass sie in einer ihr unbekannten Sprache auf sie einredeten.
    Im Verlauf des einseitigen Gesprächs trat der Mäuserich wieder hinzu. Und auch er redete laut und gestenreich. Die schlaffen Hände mit den langen Fingernägeln flogen hin und her wie Rasierklingen. An seinem kleinen Finger funkelte ein Ring. Der kräftige Mann packte ihn am Kragen und schrie ihn an, dass einem angst und bange werden konnte. Schließlich ließ er ihn los, sah den Inspektor an und raunte ihm ein paar Worte zu, die noch bedrohlicher klangen als sein Geschrei zuvor. Der Inspektor wurde blass, dann wandte er sich dem Mäuserich zu. Und plötzlich sprach auch er in drohendem Ton. Im nächsten Moment machte der Mäuserich auf dem Absatz kehrt und verschwand.
    Der kräftige Mann und der Inspektor redeten daraufhin wieder in ihrer Sprache auf Cetta ein. Schließlich winkten sie einen heiter und entschlossen wirkenden jungen Mann von kleiner, gedrungener Statur herbei, der sich hinter der Zollschranke in einer Ecke bereitgehalten hatte.
    »Wie heißt du?«, fragte der junge Mann Cetta auf Italienisch und schenkte ihr ein offenes und freundliches Lächeln, das ihr zum ersten Mal, seitdem sie das Schiff verlassen hatte, das Gefühl gab, nicht ganz allein zu sein.
    »Cetta Luminita.«
    Der Inspektor verstand nicht.
    Also schrieb der junge Dolmetscher es an seiner Stelle auf den Einwanderungsschein und lächelte Cetta noch einmal zu. Dann betrachtete er das Kind, das Cetta auf dem Arm trug, und streichelte ihm über die Wange. »Und wie heißt dein Sohn?«
    »Natale.«
    »Natale«, wiederholte der junge Mann für den Inspektor, der wieder nicht verstand. »Christmas«, übersetzte ihm daher der Dolmetscher.
    Zufrieden nickte der Inspektor und schrieb: Christmas Luminita .

E RSTER T EIL

4
    Manhattan, 1922
    »Was ist denn das für ein Name?«
    »Geht dich gar nichts an.«
    »Das ist ein Niggername.«
    »Seh ich vielleicht aus wie ein Nigger?«
    »Du siehst auch nicht aus wie ein Italiener.«
    »Ich bin Amerikaner.«
    »Ja, klar ...« Die Jungen, die ihn umringten, lachten.
    »Ich bin Amerikaner«, sagte er noch einmal.
    »Wenn du zu unserer Gang gehören willst, musst du deinen bescheuerten Namen ändern.«
    »Du kannst mich mal.«
    »Du kannst mich mal, Scheiß-Christmas.«
    Die Hände in den Taschen vergraben, schlenderte Christmas Luminita träge davon. Das blonde Haar hing ihm zerzaust in die Stirn, und auf der Oberlippe und am Kinn zeigte sich ein erster spärlicher heller Flaum. Er war vierzehn Jahre alt, aber sein Blick war der eines Erwachsenen, so wie der vieler seiner Altersgenossen, die in den fensterlosen Wohnungen der Lower East Side aufgewachsen waren.
    »Ich gründe meine eigene Gang, ihr Arschlöcher!«, schrie er, als er sicher war,

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