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Der Junge, der Träume schenkte

Der Junge, der Träume schenkte

Titel: Der Junge, der Träume schenkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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sicherzugehen, dass ihnen niemand folgte, ging danach wieder zu Santo und sagte hastig und leise: »Weil du dann nicht zwitschern kannst, wenn sie dich ausquetschen.«
    »Wer sollte mich denn ausquetschen?«
    »Oh Mann, du bist echt ein Grünschnabel!«, fuhr Christmas auf. »Du weißt ja gar nichts! In was für einer Welt lebst du eigentlich? Sag mal, stimmt es, dass du zur Schule gehst?«
    »Na ja, mehr oder weniger ...«
    Noch einmal ging Christmas zur Orchard Street und sah sich verstohlen um, bevor er – mit Sorgenfalten im Gesicht – einen Satz zurück machte, Santo tiefer in die Gasse hineindrängte und ihn zwang, sich hinter einen Müllhaufen zu ducken. Er bedeutete ihm, still zu sein. Nachdem irgendein harmlos aussehender Mann vorbeigegangen war, atmete er erleichtert auf. »Scheiße ... hast du den gesehen?«
    »Wen?«
    »Hör zu, tu mir einen Gefallen. Sieh mal nach, ob der sich immer noch da rumdrückt.«
    »Wer denn??«
    »Der Kerl, hast du ihn gesehen?« Christmas packte Santo beim Kragen.
    »Ja ... ich glaube, ja ...«, stammelte der Junge.
    »Ich glaube, ich glaube ... Und du willst einer von den Diamond Dogs sein? Vielleicht hab ich dich falsch eingeschätzt, aber ...«
    »Aber?«
    »Du kamst mir pfiffig vor. Hör zu, tu mir den einen Gefallen, und danach sagen wir Auf Wiedersehen und vergessen das Ganze. Sieh mal nach, ob der Kerl noch da rumsteht oder ob die Luft rein ist.«
    »Ich?«
    »Klar, Mann, wer denn sonst? Dich kennt er nicht. Na los, du Feigling, beweg dich!«
    Mit zögerlichen Schritten verließ Santo sein stinkendes Versteck und näherte sich der Orchard Street. Dort sah er sich unbeholfen nach dem harmlosen Mann um, den er nun für einen gefährlichen Verbrecher hielt. Als der Junge wieder zurückkam, stellte Christmas fest, dass seine Schritte sicherer geworden waren. Santo hakte einen Finger in seinen Gürtel und verkündete: »Die Luft ist rein.«
    »Gut gemacht«, lobte Christmas ihn und stand auf.
    Santo grinste stolz.
    Christmas klopfte ihm auf die Schulter. »Komm mit, ich geb dir ein Eiscreme-Soda aus, und danach trennen sich unsere Wege.«
    »Ein Eiscreme-Soda?«, fragte Santo und rollte die Augen.
    »Ja, was ist denn?«
    »Das kostet ... das kostet fünf Cent ...«
    Lachend zuckte Christmas die Schultern. »Geld. Ist doch nur Geld. Reicht doch, wenn man’s hat, oder?«
    Santo sah so aus, als traute er seinen Ohren kaum.
    Als sie den heruntergekommenen kleinen Laden in der Cherry Street betraten, hielt Christmas krampfhaft seine Halbdollarmünze in der Hand. »Hör zu«, sagte er zu Santo und setzte sich auf einen Hocker, »ich hab heute schon zwei davon gehabt und spür’s im Magen, ein drittes will ich nicht mehr. Lass uns dein Soda teilen, du bist sowieso nicht daran gewöhnt, und ein ganzes bekommt dir womöglich nicht. Mit dem Zeug muss man aufpassen.« Daraufhin bestellte er bei Erdbeere – der seinen Spitznamen dem großen, glänzenden Feuermal verdankte, das sein halbes Gesicht überzog – einen Becher mit zwei Strohhalmen und ließ schweren Herzens die einzige Münze, die er in der Tasche hatte, klimpernd auf den Tresen fallen.
    Eine Weile sagte keiner der beiden Jungen etwas. Jeder nuckelte an seinem Strohhalm und versuchte, ein wenig mehr aufzusaugen als die Hälfte, die ihm zustand.
    »Was bedeutet eigentlich, du gehst mehr oder weniger zur Schule?«, fragte Christmas schließlich und schleckte mit dem Finger die Reste aus dem Becher.
    »Dass eine Lehrerin mir nachmittags ein bisschen Grammatik und Geschichte beibringt, weil meine Mutter da putzt. Also, richtig angemeldet bin ich in der Schule nicht, verstehst du?«, erklärte Santo abwehrend. »Im Gegenteil, ich pfeif auf die Schule«, fügte er in abfälligem Ton wie ein Möchtegernganove hinzu.
    »Du bist ein Idiot, Santo. Was zum Teufel willst du denn mit deinem Leben anfangen? Du bist nicht wie dein Vater, du wirst nie zwei Zentner mit einer Hand heben können. Wenn du was lernst, kann dir das nützen«, sagte Christmas, ohne auch nur einen Moment zu überlegen. »Ich beneide dich.«
    »Wirklich?«, fragte Santo strahlend.
    »Ach was, das sagt man doch nur so. Pluster dich nicht so auf, Grünschnabel, du siehst ja aus wie ein Truthahn«, korrigierte Christmas sich sofort.
    »Ach so ... dachte ich’s mir doch«, murmelte Santo, den Blick auf den leeren Becher gerichtet. »Du hast alles.«
    »Na ja, ich kann nicht klagen.«
    Schweigend schaute Santo zu Boden. Eine drängende Frage beschäftigte ihn.

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