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Der junge Goedeschal - Roman

Der junge Goedeschal - Roman

Titel: Der junge Goedeschal - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Schnitt!«
    Stehen bleibend, hinter ihr hinsprechend, atemlos: »Ilse, ich beschwöre Sie. Ein kleiner Schnitt. Hören Sie doch: kaum fünf Zentimeter. Sagen wir: drei, zwei Zentimeter. Bleiben Sie!«
    Er war allein. Zwischen den Büschen versteckt, spähte er ruhelos zum flackernden Feuer, sah ihr Kleid zwischen den andern, wartete, wartete, – oh, dieses Warten, während das Herz aufging und nun schon klein, wie gehämmert, die Brust zerschlagen zu wollen schien.
    »Dort Klotzsch. Was sagen sie? Nichts zu verstehen! Aber ich kann nicht näher. Dies der letzte Busch, der mich deckt. Sie lachen? Sie lachen!«
    Er lehnte das Gesicht in die Hand. »Sie wollen mich täuschen, ganz demütigen; gleich kommen sie, zerren mich zum Licht, klagen an, verjagen mich.«
    Er wartete. Das Herz hämmerte die Sekunden in sein Blut, dass sie durch seine Adern tobten wie schwindelnder Schneeflockenfall. Nichts. Niemand kam.
    Er begriff nicht. Und nun, näher dem Feuer, schon in seinem Schein, sie bespähend: »Sie sprechen nicht von mir. Ilse hat geschwiegen, Klotzsch nichts gesagt. – Muss ich nicht erleichtert sein?«
    Er hob das Gesicht. »Sie sind froh, ich weine. Oh, so wie ich, eines Tages muss ich sie sehen, so gedemütigt, wie ich es bin; über ihre Gesichter mich beugend, werde ich auf ihnen den Abglanz alter Leiden lesen und, ganz bestrahlt, mich an ihm erwärmen.«
    »Eines Tages werden sie tot sein. Ich werde keinen auslassen, sie sollen alle sterben.«
    Trunken machend bezwang ihn diese Vision. Er sah ihrezerstückten Leiber. Ihre nun ganz entleerten Hände flehten in mannigfachen Gebärden. Über das Gesicht von Ilse, nun bleicher und zerfallener als der Himmel, würde ein blutroter Schnitt laufen.
    »Muss ich allein leiden? Für all das muss einmal Vergeltung da sein.«
    Er zwang sich zwischen die andern. Trotz drängte ihn zum Feuer. Er fand Platz. Niemand achtete auf ihn. Nur einmal schien der Blick Ilses da gewesen zu sein, aber über dem Wenden seines Nackens war er entflohen und nun ganz dem Feuer zugewandt und unwissend, wer Kai sei.
    Jetzt sang einer allein, da bog er den Kopf in den gekrümmten Arm, ließ alles, aber auch alles auf sich beruhen und schlief ein.

34
    Irgendwoher wandernd, Dunkelheit hinter sich, in der es nicht nottat, das Auge zu öffnen, überkommt es ihn nun zu blinzeln, mit den Nerven zu tasten, mehr zu sein. Die Glieder verbogen und starr. Wind in den Baumkronen, ein zusammengefallenes, unter Asche verlöschendes Feuer, ungläubiger Aufwurf des Gesichts, Hochfahren: niemand da!
    Am Waldrand, über sich kaum merkbaren, fahlen Schein des Himmels, sucht er: Nebel, späte, öde Dämmerung. Der Tag ist vorbei.
    Knackte nicht ein Ast? Wer hockte dort im Dunkeln?
    Jetzt, die Zunge vor Angst bebend, wirft er sein Rufen in  die Weite, der Wölbung des Waldes zu: »Werner! Werner!«
    Verfangen. Verloren. Nur der Wind ist da.
    »Ilse! Ilse!«
    Indem er ihren Namen in die Dämmerung wirft, biegt er sich vor, zaudert, hofft endlichen Widerhall, Endigung des Scherzes.
    Die Baumkronen scheinen zu verhalten, warten mit ihm, auf den klaren Schrei, irgendwoher aus der Nähe.
    Dann wehen sie wieder.
    »Sie sind fortgegangen. Alle sind sie weg. Hier um das Feuer saßen sie. Ist es nicht grad so, als wären sie, wie in meinem Traum, tot, erschlagen, verblutet? Hier in der Asche noch der Abdruck eines Fußes. Wie ein Leichnam, ein leer gewordenes Ding. – Still!«
    »Ilse! Ilse! Ilse!«
    »Wie ein Kuckuck rufe ich ihren Namen, nicht meinen Namen, ihren Namen, der mein Name sein könnte. Noch einmal suchen. Sie haben sich versteckt.«
    Und nun, seinen letzten Stolz preisgebend, hob er die Hände zum schlafenden Unterholz, wies um sich, bat: »Kommt doch! Ich fürchte mich so!«
    Und wieder: »Kommt doch! Ich fürchte mich so sehr!«
    Die Hände glitten herab. Noch einmal, ganz leise: »Ich weiß ja, ihr habt euch versteckt. Kommt doch!«
    Von neuem am Feuer, kam die Versuchung, hinzusinken, zu weinen.
    »Nein. Ich muss fort.«
    Als er den Rücksack hochhob, glitt, flatterte ein kleines, weißgraues Ding herab, er erhaschte es noch. Im Licht der Kohlenglut versuchte er’s zu lesen. Zu dunkel. Er riss den Rucksack auf, suchte die Streichhölzer, sie waren durchnässt.
    Die Sachen auf dem Rücken, den Zettel fest in der Hand,gewann er die Wiesen, den weißlichen letzten Himmelsschein. Aber die matten Zeichen, die er nun sah, verrannen, lösten sich in Grau auf.
    Der Gegend unkundig, lief er den Weg zurück, den

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