Der junge Goedeschal - Roman
er gekommen. Am Graben, eine kleine Plankenbrücke: Werners Gestalt schien aufzuwachsen. Er erschrak. Vorüber.
Nun die Straße, belebt von den Erwartungen, den Träumen des Morgens. Welche Hoffnung, welch grenzenlose Enttäuschung.
Aber auf der Dorfstraße nicht, nicht im Lichte der Laternen, im Wartesaal nicht wagte er den Zettel zu entfalten. Nur dies: nach Haus.
»Dort, in der Enge meines Zimmers werde ich hören, dass sie zu mir spricht, wieder zu mir spricht.«
Später dann, die Kleider abziehend, mit jedem Stück einen Teil des Tages fortlegend, schien am Ende nach dem durchnässten Hemd alles ausgelöscht, nur ein Geschenk blieb, unverdient.
Er las: »Es ist besser, wir sehen uns heute nicht mehr. Alles kam, wie es kommen musste: ich habe dich lieb Ilse.«
Im Dunkel weinte er hellauf.
35
»Schlafe ich denn nicht? Ich bin ganz wach. Dort steht der Waschtisch, seine Marmorscheibe glänzt dumpf in einem Lichtstrahl, der durch den Vorhangspalt fällt. Eben noch war ich ganz ertrunken in einem wattig-wolligen Gewoge von Schwärze, nun treibe ich wieder oben, auf dem Teich der Nacht.«
»Ja, ich könnte nun träumen, dass ich in einer Kajüte liege,ganz allein, an der Seite plätschert das Wasser, immerzu, und oben gehen ewige Schritte, hin und her. Draußen ist helle Nacht, bei mir ist es dunkel. Ich bin rundherum eingepackt in meine Decke, alles ist weg von mir, ich bin ganz sicher in meiner Koje.«
»Auch das hilft nichts. Ich könnte ja nun Seeräuber kommen lassen und siegreich mit ihnen kämpfen, oder ein Sturm geht auf und ich bin der einzige Gerettete und werde Robinson, von der ersten Nacht im Baumwipfel bis zu Freitag; aber all das hilft nicht.«
»Ich bin so hellwach, ich werde endlos lange nicht einschlafen können. Wenn ich aufstände und Licht machte, irgendetwas läse oder schriebe? Was denn?«
Und plötzlich ist er doch wieder tief gefallen, über die Bettkante, in den schwarzen Teich – es ist als streichele Samt seine Schläfen –, er ist ganz fort und nun schon wieder aufgetaucht, rasch hoch emporgehüpft über den Wasserspiegel wie der Kork einer Angelschnur, grad noch rasch genug, um eine Uhr schlagen zu hören, langsam, weit weg: Mitternacht.
»Oder hat sie nicht geschlagen? Habe ich nichts gehört? Es mir nur eingebildet? Es klingt aber noch immer in meinem Ohr!«
Und er reicht seine Ohrmuschel weit von sich, dass er den Klang wieder hören kann. Doch ist es still, kein Laut zu vernehmen, nicht ein Laut, im ganzen Hause nichts, auch die Uhren ticken nicht, ganz still. Und immer stärker hält er sein Ohr hin, nur um einen Ton zu hören.
Aber dann weiß er plötzlich, dass er sich nur betrügen will, dass dies nur Tuerei ist, über das fort, was in seinem Innern pocht und pickert, immerzu.
»Nun denn! Was ist es nur?«
Er weiß es nicht, er muss furchtbar nachgrübeln, doch fällt es ihm nicht ein. Und alles hängt davon ab, dass er es findet.
»Ich muss es ja finden.«
Und nun kommt schon wieder der Samt geschlichen, er legt sich rund und voll, ohne Ritz und Loch um seine Beine, er ist ein Fell geworden und gleicht der Pelzjacke von Mama, die man endlos streicheln kann. Und Kai muss sich sehr anstrengen, dass er die Beine ein wenig bewegt, und kalte Luft unter die Decke bringt, mit der er den Samt borstig macht.
»Ja, und nun will ich wieder suchen.«
Die Nacht ist so still. Aber nun plötzlich, grad, wie das Pochen in den Kopf huschen will, springen alle Uhren im Haus auf ihn los: »Tick. Tick. Tick. Tick. Tick. Tick!«
Sie rasen und zerreißen das Werdende. Kai hört sie alle, den Wecker neben sich und seine Taschenuhr und die kleine Uhr im Esszimmer und die Kaminuhr in Vaters Zimmer, und nun hört er auch im Nebenhaus Uhren, und er kann sie alle nennen: diese ist von der Schneiderin, die immer das Fenster nach der Straße aufhält, dass man große Puppen ohne Köpfe und statt eines Halses einen gedrechselten Schwanz stehen sieht, seltsam lückig bekleidet, und jene gehört dem Herrn mit dem wehenden Vollbart, der Kai wegen dieses Schneeballs nach seinem Fenster ausschalt.
Und die und die und die, alle kann er sie nennen, aber eine ist dazwischen, er hört sie genau aus dem Sturmlauf der andern: »Wie heißt die doch?«
Er zergrübelt sich, er muss nun finden, wem die gehört, – aber nein, das ist ja Unsinn, er muss diesen Gedanken suchen, der grad, als die dummen Uhren anfingen, in sein Gehirn schlüpfen wollte. »Wie war es doch? Was wollte ich?«
Er denkt
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