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Der junge Goedeschal - Roman

Der junge Goedeschal - Roman

Titel: Der junge Goedeschal - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Süßigkeit!«
    Er strauchelte, fiel. Kies prellte die Knie, zwischen den Zähnen knirschte erdig eisiger Schnee. »Wo bin ich? Wieder verlockt! In Wind und Kälte, die Beine in äußerster Ermattung bebend, findet jener doch Kräfte genug in mir, Nahrung seiner Lockungen zu sein. Aber ich will nicht! Ich will siegen! Nicht umsonst dieser Kampf, dies Gewanke durch Eis! Helft mir! Lasst mich nicht allein! Menschen!! Menschen!! Freund, mir die Hand, Wärme, Zuspruch! – Dort, es flattert, es kommt näher, Fleisch quillt – nein! Nein! Hilfe! Menschen!«
    Der Atem zuckte, sein Arm zerschlug die Luft in scherbiges Glas, indes sein Blick quoll. »Dort, ich sehe sie. Nein, geh fort! Sie bückt sich, ah! Sie hebt den Rock, die Elende, fort!«
    Er sah sich umstellt. Er floh. Geheimnisvolle Schatten winkten im Wind; rätselhafte Gebärden drohten und lockten; eine Ackerscholle, die sein Schuh trat, schien fleischig zu erweichen, lustvoll seinen Fuß zu umquellen –.
    Er durchbrach ihre Kette. Die Weite einer unbekannten Ebene dehnte sich vor ihm, nahm ihn auf, den Elenden; und fernen Hügelzügen zu entfloh er den Geistern, deren samtige Stimmen der Wind noch lang über sein Ohr strich.

55
    Noch im Nacken das Eis der windzerpeitschten Wüsten. Die schneegebeizten Augen vom Licht gequält. Der Finger am Klingelknopf will kaum sich strecken; über dem Knöchel bricht die Haut blutrissig. Klingeln. Stimmen. Empfang, oh, Empfang!
    Die Eltern im Vorplatz. Gas bullert.
    »Woher kommst du? So spät?«
    Die Mutter sieht Kai im Spiegel über den Umwurf der Boa hinweg.
    »Spazieren.«
    »Aber wo! Wie nass du bist! Wie deine Schuhe zu trocknen? Man tollt nicht!«
    Zur Erde wies des Vaters Finger, wo Klumpiges zerrinnend nass kleckste. »Wer soll das säubern?! Man tritt sich ab!«
    Der Nasse, Erstarrte hasst den gebügelten Frack, die Weiße des Hemdes, die Puderquaste in der Mutter Hand. Dennoch: »Verzeihung!«
    »Und dein Kaffee? Wie lange soll er warmstehen?!«
    »Pünktlichkeit! Zeiteinteilung!«
    »Deine Geschwister tun das nicht …«
    Endlich im Zimmer. Wärme. Dunkel. Der Bruder pfeift nebenan. Die Schwestern rascheln anderseit. In das Kissen höhlt der Ermattete Glied um Glied, ruht im Langstuhl, fühlt Gedankenrinnen wie leisen Bach, in dem sich noch spiegelt hie und da wolkiger Abglanz jener Erfühltheiten, die die Wüste gebar.
    Alleinsein. Schmerz. Sehnen nach Ilse. Unwertigkeit. Sünde der Nacht, Frevel. Doch nun Kampf. Einmal die Schmach, nun nie wieder. Verlockung ins Unbekannte war sühnbar, nicht so Rückfall.
    Dehnte sich im Kissen, Hirn glomm, Tränen sickerten sacht.
    Alleinsein. Kampf ohne Freund. Die Eltern im Theater. Arne, einzig vielleicht in Betracht, unmöglich doch Geschehenes zu beichten. Sonst …
    »Wer gibt mir die Hand? Hält den Strauchelnden? Wirklich so ganz allein? Kein Genosse?«
    Suche du, suche du nur!
    Aus ermatteter Stunde siegessüchtigen Kämpfers entwächst unübersehbarer Entschluss.
    »Die Pauker. Taube Lösung schon, doch Lösung. Aus der Masse der andern trete ich –: auch Sünde zeichnet aus.«
    Ließ es gleiten, senkte die Lider, sann kaum noch, – bis ein klappernder Hufschlag erschreckte. Der Auffahrende tapste zum Schreibtisch, Tat endgültigem Entschluss vorausnehmend, schrieb er Entwurf:
    »Geehrter Direktor – Pflicht des Freundes der Anstalt zur Warnung – Schüler Goedeschal, Obersekunda, gefährdet – namenloser Frevel – einmal bisher – Kampf gegen Rückfall, doch zu schwach – Gefahr! Gefahr! – Ich beschwöre Hilfe – Rettung dem Sünder – Eile! – Jede Stunde mag Unwiederbringliches rauben – rasch! Rasch! Hilfe! – Ewig namenloser Freund Ihrer Anstalt.«
    In der Hand fühlte Kai die Falten der Stirn. Das Zinkblech vorm Fenster betrommelten Tropfen. Hirn wie gelähmt: Gedanken rührten sich nur wie Kinderhände im Schlaf. Sacht. Sacht.
    Über das Knochengerüst des Entwurfes legte er Phrasen-Fleisch, seimig entfloss es Feder und Hirn.
    Ruhte dann tief – hinten lag in Nacht der Brief –, und nur der Wortklang »Rettung« war’s, nicht sein Sinn, der im Traum manchmal sich rührte.
    Sehnen. Sonnenabhänge. Sorglosigkeit. Kein Dunkel mehr. Kein Kampf mehr. Rettung durch Pauker? »Geh, lauf, fliege, Vogel, Brief, weiß ich, ob du nistest?«
    Traum.

56
    Mit hastiger Geste entgleitende Häuser, prangende Nummern an ihren Torbögen, Aufwurf von Fensterflügeln, in denen Sonne blitzte – alles verstörte Kai, entriss ihn mit seiner Bewegung, seinem Glanz

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