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Der junge Goedeschal - Roman

Der junge Goedeschal - Roman

Titel: Der junge Goedeschal - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Vorstadthäuser vorbei zum Schlachthof hinausstieß. Wind traf fingernd die Brust. Dann und wann prickelte flockiges Eis. Schon dämmerte um sie verhalten und zögernd befleckter Schnee erster, drahtgezäunter Felder. Über den endlosen Schuppenrevieren des Schlachthofs schwankten am reifweiß leuchtenden Draht kuglige Lampen, und in das Brüllen hungernden Viehs schrie lauter die heisere Trompete der Mutterkuh. All dies schluckte die nachtende Stille.
    »Und nun?«
    »Weiter!«
    »Aber …«
    »Weiter.«
    Unter der Holzbrücke lagen die dunklen Fußschlangen der Bahn. Grüne und rote Laternen standen stumm und irgendwo wetterten Lokomotiven hügelauf.
    »Umkehr!«
    »Du!«
    »Wie?«
    »Du! Du! Du! Glaubst du, ich gehe? He? Glaubst du das? In eure Lauheit? Dickes Gas? Um den Tisch gehockt! Madiges Brabbeln! Dahin? Geh doch! Geh doch du!«
    »Kai …?!«
    »Ja, was denn? Kai? Was soll er denn? Sollst du ihn hinbringen? Da, nimm mich doch, zerr mich doch, schieb schon, sieh doch, ob du’s bringst! Zu euch … Geh schon, Kleiner. Grüß sie nett, das Fräulein Laulich. Ihre Briefe …«
    »Was ist ihr? Was hast du!«
    »… ihre Briefe … Oh! Ich bekam sie schon, gesetzte Gefühle, höhere Tochter. Aber was gehst du nicht? Geh doch! Die Klampfe wartet. Zirp, zirp, duliö!«
    Und stieß ihn.
    »Lass!«
    Aber Kai schwang weiter, dem Wind entgegen, der nun, über die letzte Hügelreihe aufheulend, hindernisfrei in die Pappelreihen brach, riss den Mantel auf, schwang die Hände und achtete den Schatten nicht hinter sich, der beschwörenden Mundes nachschlich, da doch schon Glut in Kai versackte und Schwermut tränenbeizend aufstieg.
    »Bist du noch da? Es ist Zeit für dich!«
    »Ich komme mit dir. Das geht nicht so«, und zwang sich entschlossen an Kais Seite, Besänftigung redend.
    »Schon gut. Weiß, wie ihr es meint. Immer und immer.«
    Und drehte grabenüberwärts durch die knackeisig peitschende Hecke ins schollige Feld.
    »Da ist kein Weg.«
    »Alles ist Weg. Ihr nur seht’s nicht. Bleibt doch draußen.«
    Beide keuchten. Ihre Füße fielen tapsig in das speckig Gepflügte. Die Weite hatte den Stadtlärm vertilgt, nur noch das unendliche Sausen des Windes war um sie. Schon aufden Wangen frierend troff Schweiß, Klotzsch stolperte, griff nach Kais Mantel, fiel.
    »Sei vernünftig, Kai!«
    Und hob sein blasses Gesicht von der Erde. Zwischen dem Zwinkern stachen die Augen.
    »Wer sagt, dass du musst?!« Und näher, den Atem zum Hockenden stoßend: »Geh zur Hütte, Hund! Soll ich wieder stechen? Diesmal stechen, nicht schneiden!« Griff in die leer gewusste Tasche, lachte auf, zuckte die Achsel und ging weiter, murmelnd, zwischen den Weiden am Grabenrand durch, springend dann, – und nun, geduckt zwischen den Kopfrutenhaufen, sah er den andern taumelnd sich erheben und still, ohne Umschauen, rückengewandt, der glostenden Stadthelle zugehen.
    Da erst fühlte Kai Windes Verlassenheit, trübe Bitternis der Zunge, und ging langsam, schultergebückt in die Ferne hinaus, der nie wohl Tag dämmerte.

54
    Da Kai sein Gesicht zum Himmel erhob, wo zwischen dem hastigen Zug wattiger Wolkentiere spärliche Sterne blitzten, schien es ihm, als habe er etwas vergessen. Doch schon dachte er dessen nicht mehr, fühlte nur strudelnd singenden Druck von Wind an Hüfte und Schulter, und jener dort, der Flüchtige, blieb ungerufen. Mochte er gehen! Die Wärme, die dieser begehrte, lag Kai nicht an. Auch nicht das Mädchen, das neben diesem Lebensdrallen kleine Rührungen in der Seele aufgehen ließ bei Liedern, zu schmissig und dann wieder zu süß gesungenen.
    Doch fuhr die Hand zur Brust, hautgewärmtes Briefblatt gab Laut. »Diese Sätze – spottete ich ihrer? Verzeih, oh, verzeih!Sieh doch, hier wandere ich durch Nacht und das Eisige, wenn schon dein Ruf zur Wärme erklang. Du meinst, ich zürne? Jener Abend wuchs längst zu. Doch …«
    Er lauschte: eine Stimme schien zu flüstern; unwillig wies seine Hand sie ins Dunkle zurück. »Ich sollte verachten? Ihre laue Liebe? Ihren Mangel an Wärme? Aber bin denn nicht ich es, der, über sich gebeugt, hockend nur stets, zages Gefüge eigenen Seins betastet, statt aufjauchzend und selbstvergessen in ihrer Brust zu münden?! Nicht ich allein schuldig, Ängstler vor Lebfrischem?«
    Er ging. Plötzlich war Singen da, und lange stand er geneigt am Pfahl, in dessen weißen Köpfen, droben nur geahnten, Melodie vieler Stimmen klang. »Ich liebe dich, wohl liebe ich dich! Gehst du je von mir?

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