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Der junge Goedeschal - Roman

Der junge Goedeschal - Roman

Titel: Der junge Goedeschal - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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saugte, Hände krampften den Buchrand, in den Ohren brauste es wie gefangener Luft Wogen in einer Muschel.
    Er sah auf – niemand beachtete ihn. Und indem er die Blätter schneller warf und schneller, fing er Worte auf, da und dort, drohende, geheimer Deutung voll, nie gehörte und doch so sehr geahnte, nächtens erwachsen in Traum und Schlaf, fing sie, fiebriger stets, alle: »Geschlechtstrieb, ehelich, fruchtbar, Zucht, masturbieren, Sexualität, Samenverlust, Prostitution, Onanie, Pollution …« Wie verrückte Blumen schwankten sie vor ihm, verzerrten bekannte Linien, plötzlich geheimnisvoll gebläht schwemmten sie auf, und indem sie wie feurige Kreise hinter geschlossenen Lidern vor seinen Augen sich drehten, fühlte er Quellen von Wasser im Munde,die Zunge drückte den Gaumen und ein leichter Schwindel zwang ihn zurück. Kaum fing er ein Stöhnen.
    »Kaufen … Nein, Kaufen unmöglich … dieser Blick der Dicken … damit einschlafen würde sie, dass ich’s kaufte, süßlich feixend … oder Meldung den Eltern …«
    »Aber wie? Ich muss es haben … da ist alles darin … alles Wissen, was ich je geahnt … Kampf wird nicht mehr nötig sein!«
    Er sah auf. Eine Starre steifte ihn zur Gradheit. Zwischen Tasche und Mantel das Buch unterm Arm, sagte er rasch: »Ich kann nicht warten, komme wieder. Ein andermal.«
    Und ging, trotz schwatzenden Protestes.
    »Aber sie merkt es! – Was dann? Kann ich es leugnen? Sie weiß, neue Bücher, also …«
    »Doch werde ich wissen …«
    »Dieses Buch …«
    Sah darauf, lange. Es war ihm, als hielte er sein bebendes Leben, endlich erkannt und entdeckt, in der Hand.

57
    »Auch das überstanden! Wozu predigt Papa? Glaubt er, mich freut die Fünf? Ostern sitzenzubleiben mir ein Genuss? Nichts … wenn selbst alles gut ginge nun …«
    Steht. Rechnet. Verwirrung der Zahlen. »Aber nimm die Eins! Nächstes Skriptum die Eins, auch dann …?«
    Zuckt die Achsel. »Auch dann bleibe ich sitzen, zu schlecht schon!«
    Lebhafter: »Stimmt doch nicht! Wieder der Seich? Noch ein Jahr? Mit jenen Proleten? Arne nicht mehr dabei, kein Nachbar Müller?«
    Lächeln: »Wusste ja: es geht nicht! Nicht-Versetzung unmöglich. Alles wird anders … irgendein Wunder … bestimmt schon … ich bleibe nicht sitzen!«
    Grübelt leicht, Gedanken schon wandernd um jenes Buch: »Oder anders – wie man’s nicht weiß … Wunder gewiss … irgendwie … gar keine Schule vielleicht …?«
    Stand blitzhaft erhellt: Hoffnung, Möglichkeit schon; nur noch zu suchen, wie?, da die Gedanken forttrieben bereits, schlichen, leise es rührten, jenes, das decklig gespreizt auf der Klappe dort lag. Hob die Hand, Finger streichelten zart blaupappenen Deckel – – –.
    »Wissen«, murmelte er und zögerte doch Zugriff der Hand. »So eilig nicht. Forderung auch das vielleicht.« Trat zurück, schickte bei zufallender Tür rasch einen Blick, musste lächeln, da er es so gespreizt dort sah, so unversehens getäuscht, – das Buch.
    Zimmer nun, dieses und jenes, leere, öde. Leerer noch, saß die Mutter drin oder eine der Schwestern; widerhallloser Ruf trieb weiter, zum Spiegel etwa, der nicht weniger log, weisend ein steiles Gestell, fahlen Gesichts. Log – da denkbar genug, das Kleiderbündel zu lassen in einem Sessel, in die Ecke des Sofas gedrückt, – weiterzugehen trotzdem.
    »Und das Buch …«
    Stand am Schrank des Vaters: die Rücken der Bände schützten gut, ihre Geheimnisse sprachen zur Wand – vielleicht vom neuen Gefährten? Der lag droben, aber Glut schien auch hierher geschickt, sengte die Stirn – und da Kai sich wandte zum Vater am Schreibtisch (dringend verschlossenes Gesicht, gesenktes Lid, hastende Hand, Stöße von Weißem umher), zog’s ihn über den Teppich lautlos heran: dieses Gesicht zu zergliedern, zu suchen drin jenes Recht zum Tadel, auf den Titel des Vaters. Unbeweisbar doch, wie?
    »Erlistet, gewiss! Das weiß ich. Fremder dort, doch mein Herr. Begrenzt mich in allem. Warum? Wieso? Recht? Recht? Welches Recht verschenkt mich? Beweise! Fuchtelführer, beweise dein Recht! – – – Kennt er mich denn? Tag-tag-geschwätz zwingt er mir auf, durch Akten jagend, Straf- kundiger …«
    Doch des Schreibenden Blick glitt zu ihm: blau aus der Tiefe, rastvoll, viel Verzeihung in sich. Zeit war nun da für Hinsturz, mit bebendem Finger zu glätten Fältchengequängsel um Auge und Lid. Streckte die Hand, voll sank sie ein: Schwäche ward Kraft, Zweifel – Liebe.
    »Weiß schon, Kai. Es

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