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Der junge Goedeschal - Roman

Der junge Goedeschal - Roman

Titel: Der junge Goedeschal - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Hockt nicht dein Kinn, Nestvogel gleich, auf meiner Schulter, grüßt mich dein Auge nicht, wenn schon dein Antlitz in raschem Wenden fensterwärts fortglitt? Und drückte dein Finger nicht schneller als meiner die Klingel: schrillender Klang nur für mich allein, da niemand kam? Ewige Gefährtin!«
    Er sah um sich: dort im Schatten der Baumgruppe konnte sie sein, seinen Spuren im Hohlweg gesellte sich vielleicht nur ihr Fuß, oder sie lauschte, an die Schneewange der Böschung gelehnt, seinen Klagen, die ihrem phantastischen Schatten Blut in die Adern zu zaubern sehnten. »Komm näher, du! Zeige dich mir! Entschleiere die Augen, schmiege die Flächen der Hände um meine Wangen und lass uns so die innigere Welt beschwören, die stets in unsern Worten zerrann.«
    Er lauschte.
    »Du kommst nicht? Entschwindest wieder, da mein Lockruf klingt, und lässt es genug sein mit dem betäubenden Duft entzündeten Blutes? Wieder wie gestern Nacht nur die Ahnung deines Atems auf der Wange, die Ahnung deines Kopfesneben dem meinen auf dunklem Kissen, und im Umwerfen, im Zugriff der Arme, streichelsüchtig nach dir –: Entschwinden, Leugnung, beinahe Hohn? Körperlose du, Blutpeitsche, – ewig da, immer entflohen!«
    Seine Hände wühlten im Schnee, schoben ihn fort, und nun, über die erstarrte Erde gewölbt, ahnten sie Fleisch, hofften Erwärmung, sehnten schwellenden Gegendruck: die Scholle blieb taub, umsonst sein Rufen: »Erwärme dich doch! Brich auf, Brust! Einmal brich auf!« Sie blieb taub, dass er endlich die Hand löste, die verklammte, und den schmerzenden Rücken zu Gradheit zwang, in ermüdetem Klagen: »Du willst nicht? Nur zum Verlocken kommst du?«
    Vor sich sehend, sprach er, da die Wolle der Taschen das Eis unterm Nagel filzig verschmierte: »Ach! ich weiß wohl: du bist diese nicht, die meine Nächte erfüllt. Auch dein Gesicht schuf jener zu verführender Maske, der mein Feind ward, unbegreiflich wie und warum. Ferne stehst du und abseits – und jene Nacht, deren Frevel mich wie einen Pfeil in diese eisige Öde schoss, tilgte den Kai, den der zu Asche flatternde Zettel meinte und den diese Briefe suchen, deren süße und beinahe ein wenig tauben Worte nicht Rückkunft, sondern strengeres Exil noch predigen.«
    Er schüttelte es ab, sah um sich, ahnte unter blasser Röte die Stadt. Und da er den Heimweg überdachte, schien kaum noch glaubhaft inmitten dieser namenlosen, windzerschnittenen Öde: Dehnen erleuchteter Straßen, Rückfall von Friesvorhängen in durchwärmten Cafés, Kleiderwinken und das duftende Kielwasser von Frauen, das die Wangen hitzte und Augen sich schließen ließ. Kaum glaubhaft, – wie je zu erreichen aus dem eisigen Dunkel verlassener Breiten hier, da die Schuhe durchnäßt, die Finger verklammt und der Weg so sehr weit?
    »Ich bin so müde, ich kehre um …«
    Er kehrte um. Hüstelnd, vornübergehängt schob er sich heim, schurrte im Schnee, trottelnden Kopfes –: Alter bereits, Greis gar, da der Lockerung der Glieder Trost zu entwachsen schien, Hoffnung auf Ende –: »Ende. Sehr alt schon, gewiss. Abschiedsbeflissen. Was noch zu wünschen?«
    Aber da fand er’s, da und dort eingeklemmt ein Wünschen, um dieses, um jenes; Straffheit kam und die Frage, ob nicht so viel Eifer im Kampf, so weiter Weg im Schnee zu belohnen?
    »O gewiss! Ich schenke mir etwas … Erlaubnis, ihr Haus zu passieren. In die Dämmerung eines Torwegs gedrängt, werde ich meinen Augen den Stern ihrer Fenster leuchten lassen, und es mag sein, dass den Vorhang streifend ihr Schatten mir erscheint, wahrer als jene Gespenster, die, auf meine Schulter gelehnt, unverständliche Worte lockend in mein Ohr flüstern.«
    Sein Schritt schwang. »Ja, ja, ihr Fenster! Ihre Nähe! Und vielleicht kommt sie … Aber nein, ein andres, jener Laden mit den Bildern …« Er träumte. »Ja, also nicht ihr Fenster, der Laden: die Bilder der Frauen; Liebesszenen; Photographien; erträumte Gestalten, kaum verhüllte; Brust; Achselhöhlen, beflaumte; krampfig verschlungene Glieder; Wölbungen – oh, warum war ich nicht früher dort! Warum habe ich mich nicht vollgetrunken mit diesen Bildern, mein Hirn zum Überquellen gestopft mit diesem nackten Fleisch! Ich werde da sein, heute noch! Schneller! Schneller! Ich werde das heute Gesehene legen zu früher Erhaschtem: dem von der Bonne am Baum abgehaltenen Kind; den sich hetzenden Hunden; dem schlanken Bein, das sich vom Trittbrett der Bahn herab des deckenden Rockes entblößt! So viel

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