Der junge Goedeschal - Roman
ist gut. Das nächste Skriptum wird besser.«
Schrieb weiter.
Kai ging. Eine Tür fiel zu. Er stand draußen. Wollte er lachen?
»Anspruchsvoller! Er meint es gut! Dass er anderes meint, ist das seine Schuld? Dass er vorbeidenkt, selbst in solcher Sekunde?«
Zimmer nicht; Ruf der Mutter, Ebenbild im Spiegel, Blaublick des Vaters – Heimat nichts, – Heimat dies Buch, schräggestellt in letzten Schein des Tags, unter der surrenden Lampe gebreitet dann, langsam geblättert, bis es kam …
Flügelrauschen – Weltuntergang – Lohfeuer stichflammig aus Loch und Stein – dunkelnder Qualm, auseinandertreibender –: und im aschegrauen Morgendämmern neigt einer sich über des Gefallenen Gesicht, des Freundes; fremdklingendes Wort sagt man wohl, rätselt, doch Bekanntes zerrinnt in Fremdes, wie im Traum geschaut, vergessenem, nicht zu erinnern, in Schleiern verborgen: dennoch Aufgang geahnter Welt!
»Armer Nero. Unsagbares Verbrechen senkte die Stirnmir! Ich floh ins Dunkel. In der Eisöde noch, die Hände von Wind geraut, brannte stets neu Vorwurf meiner Schmach.«
Wagte doch nicht zu lächeln. »Umsonst also mein Kampf. So viel Kraft gewendet an den Sieg übers Allgemeine, kaum Verbotene! Alles Leiden umsonst? Ihr alle tut’s? Immer? Jede Nacht? Fünfundneunzig Prozent? Und ich einmal? Und so viel Leid drum?«
Bäumte schon auf, seine Arme zerfuhren die Luft, Bauch wölbte sich, Leib stand gestrafft. »Ihr habt’s gehabt, all die Zeit, da ich kämpfte!! Gesättigt! Gefühlt! Mit allen Sinnen genossen!!! Unterdes ich in Eis? Oh, hätte es einer nur gesagt, was es wirklich ist! Hätte ich’s nur gemacht! Ich allein draußen? Wahnsinn, verruchter!«
Torkelte zum Bett, riss Kleider, zerrte am Träger. Lohe um Lohe. Glut auf Glut. Stand nackt. Fleisch schwellte prall.
Kopf fällt in Kissen, überreif. Lallend: »Auch zu jener werde ich gehen, der Ilse, morgen …«
58
Es war spät. Da Kai den Vorhang zurückschlug, weißte schon hochstehender Mond die Riefen der Dächer. Bleiches Gegeister; scherengeschnittene Schatten in zuckigem Regen; bläuliches Schneehang-Gedunkel überstreifte sein Auge hastend, auf der Suche. Doch all dies und selbst das stumpfe Hufgeklapper auf vereistem Fahrdamm gab Ruhe nicht, sondern trieb Ärger hoch, unförmigen, sein Gaumen schmeckte, und er entdeckte am Ende noch, sich wendend, den eigenen Schatten, der ihn höhnte, aber, ertappt, fremd tat.
»Ich wage es nicht …«, murmelte er, »doch auch dies war Enttäuschung. Sage es nur, Kai. Die so oft gesehenen Bilder,die ich immer von neuem verjagte, nun, da ich sie rief, schienen sie entblutet, und das große Zucken jenes Abends stand wie eine Sonne über dem kläglichen Licht heutiger Erlebtheit.«
Wieder warf er den Blick nach außen, suchte, wen zu finden, bereden, beleben … niemand. Die Stadt schloss sich vor ihm, und wie er auch Gedanken schickte, dahin, dorthin, er fand nur das Alte: Alleinsein, einziger Mensch in der Stadt, aufgerichtet in diesem Zimmer und widerhalllos wie ein in die Wüste gesungenes Lied. Und indem er schon schneller ging, gebückter, gedrückter – an die Stuhllehne streifte die schlagende Hand –, erwuchs Vorwurf den andern aus diesem Alleinsein, und dachte man selbst einmal Gottes, schien auch sein Tun – gesetzt er sei da – nicht einwandfrei gegen Kai, den im Kampf Gehetzten, den Enttäuschten.
»Doch kann ich die ganze Nacht nicht wandern … Legen wir uns. Schlafen, enttäuschungstief.«
Blinzelte, das verlassene Bett, dessen aufgeschlagene Decke noch nasse Wärme zu dampfen schien, lockte nicht. »Nein, nicht schlafen … ich werde sitzen … denken … ruhen ein wenig im Sessel …«, und hockte sich ein.
In das Stillerwerden wogte leis da und dort fliederhaftes Gewehe, an einem Zaun wucherte Grün: Gundermann, Taubnessel, Klettengedräng. Ein Weißes wehte. Schrien Vögel süß?
»Wie dein Nacken sich beugt, leiser Goldflaum. Komm, lass uns die Finger verflechten. Wir wollen die Wiesenwege hinaufgehen, die schmalen, Hand in Hand, dass die Blüten ihren gelben Staub auf uns streifen, dass tropfender Tau als Sommerglück auf dem Lack deines Schuhes zittert, ehe er in Sand verrinnt …
Die kleinen Gehölze breiten ihr Laub dem Wind als Kissen unter den Himmel. Manchmal öffnen sie sich zur Seite: neige die Stirn: dort zwischen den sonnengoldgefleckten Stämmen kannst du Gestalten sehen, die uns anschaun; und hinter jenem hummelumsummten Heckenrosengerank hockt vielleicht
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