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Der junge Häuptling

Der junge Häuptling

Titel: Der junge Häuptling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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frei für sechs Probeschüsse!«
    Ohne das Einverständnis des Händlers abzuwarten, ging der Dakota mit dem geladenen Repetiergewehr aus dem Verkaufsraum hinaus. Tashunka-witko und seine Begleiter schlossen sich ihm an. Die Indianer liefen schnell durch den Hof und durch das offene Tor ins Freie.
    Der junge Häuptling blieb auf der Wiese stehen.
    »Was soll ich treffen?«
    »Den Birkenstamm«, schlug Tashunka-witko vor. Das Bäumchen war fünfhundert Meter entfernt.
    »Das oberste Astloch und die schwarze Stelle darunter«, entschied der junge Kriegshäuptling für sich selbst.
    Die Probeschüsse krachten. Einer der Krieger lief zu dem Bäumchen. Die Meisterleistung des Schützen mit der noch ungewohnten Waffe überraschte selbst Tashunka-witko, der den jungen Kriegshäuptling einige Jahre zuvor den sonst nur in Legenden genannten Schuß mit Pfeil und Bogen über 300 m ins Ziel hatte abgeben sehen.
    Aus der Handelsstation kam der Händler. Schreiend und gestikulierend rannte er herbei. »Mein Geld!«
    »Ja, dein Geld.« Der Dakota händigte ihm die ausgemachte Summe aus.
    »Großer Häuptling!« rief der kleine Mann. »Die Summe stimmt. Aber du hast mir das ganze Geschäft verdorben! Alle in meinem Laden drin wollen jetzt ihre Felle teuer verkaufen und machen die Ware, die ich ihnen anbiete, schlecht. Wenn du so mit mir handeln willst, wie du das gemacht hast, so darfst du das nie vor anderen Leuten tun. Nein, das hättest du mir nicht antun dürfen! Nur weil du vor zwei Jahren schon einmal hier warst mit zwei deiner Männer, habe ich dich jetzt so gut bedient! Es macht auch der Abschiedsschmerz! Wie soll das nur alles noch werden?«
    »Was soll werden?« fragte der Dakota, während er noch mit seinem neuen Repetiergewehr beschäftigt war.
    »Mein Laden wird ruiniert sein! Ich habe immer viele Indianer als Kunden gehabt. Saint Pierre ist seit Jahrzehnten bei den Indianern östlich und westlich des Mississippi berühmt. Wie viele rote Freunde hatte der alte Leiter unserer Station! Nun soll das alles mit einem Schlage aus sein.«
    »Warum?«
    »Weil ihr auf die Reservation gehen müßt! Dort seid ihr unmündig; wie Idioten werdet ihr gehalten! Ihr werdet keine Möglichkeit haben, aus und ein zu gehen. Keine Möglichkeit werdet ihr mehr haben, als Jäger zu leben und Felle zu verkaufen! Es wird euch überhaupt nicht mehr gestattet sein, eine Handelsstation zu besuchen! Wenn sie euch erst in der Reservation eingesperrt haben, seid ihr nichts mehr als eine hungrige Herde, und ich bin pleite!«
    »Hungrig?« fragte der Dakota ruhig, wie unbeteiligt.
    »Ja! Kennst du die Verhältnisse auf den anderen Reservationen nicht? Zur eigenen Wirtschaft reicht der Boden nicht hin und her. Ihr müßt von Almosen leben, von Viehlieferungen, von Konserven …, und was dann wirklich bis zu euch kommt – bei der Korruption, die wir jetzt allerorts haben –, ich danke!«
    »Warum sagst du das nicht eurem großen Vater in Washington?«
    »Der Vater ist wirklich groß, und Washington ist weit; ich aber bin ein ganz kleiner Mann.«
    »Du mußt es wissen.«
    Der Händler lief zu seinem Laden zurück, um nicht etwa ein Geschäft zu versäumen. Die fünf Indianer standen beieinander. Stumm dachten sie noch über das nach, was sie soeben wieder vernommen hatten. Wortlos gingen sie zusammen zurück zu ihren Pferden. Tashunka-witko schwang sich als erster auf den Mustang. Der junge Kriegshäuptling nahm das Bild und den Blick dieses Mannes noch einmal ganz in sich auf.
    Als Harry Tokei-ihto ein zwölfjähriger Knabe mit Namen Harka gewesen war, hatte er Tashunka-witko zum erstenmal gesehen, und es war dieser Eindruck gewesen, der ihn nicht mehr losgelassen, ihm mitten in seinem Verbanntenleben Stolz auf den eigenen Stamm eingeflößt hatte. Es begann jetzt ein großer Kampf, der größte, den die Dakota je zu bestehen hatten. Die beiden Häuptlinge waren bereit, ihre Freiheit auch unter den schwersten Bedingungen zu verteidigen. Alle weiteren Worte darüber waren unnütz.
    Die Männer verabschiedeten sich. Während Tashunkawitko mit seinen Begleitern nordwestwärts ritt, begann der junge Kriegshäuptling den Ritt südwestwärts zu den Seinen. Fast ohne Rast, fast ohne Schlaf, fast ohne Nahrung zu sich zu nehmen, legten Tokei-ihto und sein Falbe den weiten Weg zurück.
    Die Sichel des abnehmenden Mondes war dünn und scharf, die Nacht dunkel, als der Reiter bei der Kriegerschar eintraf, die ihn in den Prärien westwärts des kleinen, von Smith

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