Der junge Häuptling
Augen der beiden. Die Männer sahen sich zum erstenmal wieder, seit Harry zu seinem Stamm zurückgekehrt war. Früher hatten sie gegeneinander gekämpft. Zuletzt hatten sich der ältere und der jüngere Mann bei einem großen Sommerfest, bei dem mehrere Stämme zusammenkamen, in friedlichem Wettstreit gemessen.
Sie schwiegen beide fast eine Minute hindurch.
»Da bist du«, sagte dann die dunkle, fast mürrisch klingende Stimme des Oberhäuptlings. »Du hast mir einen Boten geschickt. Ich bringe dir die Antwort selbst. Sechzig Dakotakrieger kommen zu euren Zelten. Auch zehn Krieger der Pani mit einem Häuptling und fünf Krieger der Absaroka mit einem jungen Häuptling, die dich aus früheren Sommern kennen, haben sich gemeldet, und wir sind bereit, sie an unserer Seite kämpfen zu lassen. Alle diese Krieger und Häuptlinge werden bei euch sein, sobald der Mond wechselt.«
»Das ist zu spät.« Der junge Kriegshäuptling sagte es kurz, nüchtern, ohne Vorwurf, ohne Klage. »Der Langmesser Smith am Niobrara erwartet noch vor dem Mondwechsel sechs Wagen mit Munition und Nahrung. Wir müssen die Munitionswagen und die Langmesser, die sie begleiten, abfangen. Sie dürfen niemals auf das Fort am Niobrara gelangen. Wenn unsere Brüder, die an unserer Seite kämpfen wollen, zu spät kommen, müssen wir allein handeln.«
»Das müßt ihr, und ich vertraue dir, daß du das auch vermagst. Seit zwei Sommern und drei Wintern bist du über Smith und seinen Männern wie ein Adler über einer Herde lahmender Antilopen. Wir haben unser Vertrauen nicht vergeblich in dich gesetzt. Wieviel Krieger hast du selbst bereit?«
»Vierundzwanzig Männer vom Bund der Roten Hirsche.« Tokei-ihto wandte sich wieder Ihasapa zu. »Wo stehen unsere Zelte jetzt? Wo ist Tschetansapa?«
Der Späher berichtete: »Unsere Zelte sind aus den Bergwäldern schon zum Pferdebach herabgezogen. Tschetansapa hält sich mit allen Männern, die dem Bund der Roten Hirsche angehören, auf halbem Weg zwischen unserem Zeltdorf und dem Fort des Majors Smith bereit. Sie wollen dir in den Kampf folgen.«
»Das sind die vierundzwanzig. Genug, wenn wir rasch und überlegt handeln! Reite zurück zu Tschetansapa und sage ihm, daß ich in wenigen Tagen bei ihm bin. – Tschapa Kraushaar«, gab der junge Häuptling weiter seine Anweisungen, »du bleibst hier und horchst, was die Kundschafter, die wir bei Fort Randall für uns gewonnen haben, melden. Wir müssen wissen, an welchem Tag Leutnant Roach mit der Munitionskolonne aufbricht. Ich selbst reite unterdessen noch nach Saint Pierre; mit meinem Falben bin ich rasch genug.«
Der junge Häuptling trat zu seinem Mustang. »Ich muß nach Fort Saint Pierre«, wiederholte er für seinen Oberhäuptling. »Oder kannst du mir ein Repetiergewehr geben? Für den Kampf um die Munitionskolonne brauche ich es.«
Durch die Stimme Tashunka-witkos klang es wie ein Lächeln, als er erwiderte: »Ich kann es dir nicht geben, Tokei-ihto, aber wir reiten zusammen nach Saint Pierre.«
Die Männer schwangen sich auf. Während sich Ihasapa und Tschapa aufmachten, um ihre Aufträge auszuführen, ließ der junge Häuptling seinen Falbhengst in der Reihe mit Tashunka-witko und dessen drei Kriegern nordostwärts galoppieren. Der Ritt der Häuptlinge führte durch Grassteppen, durch öde, von Mensch und Tier verlassene Felslandschaften. Niemand hielt die einsamen Reiter auf. Die Mustangs waren unermüdlich. Der falbe Hengst des jungen Kriegshäuptlings hatte lange gestanden; nun fegte er übermütig, mit großartigen Kräften über das Wiesen- und Steppenland dahin, in dem auch er geboren und das auch seine Heimat war.
Die Männer ritten die Nacht und die Morgenstunden des anbrechenden Tages hindurch. Um die Mittagszeit hielten sie die erste längere Rast an einem Gewässer, von Gesträuch und Anhöhen gedeckt. Sie streckten sich auf ihre Decken, schliefen jedoch nicht, sondern aßen und rauchten.
Jetzt erst blieb ihnen die Ruhe, sich gegenseitig zu betrachten. Dem jungen Häuptling erschien sein Oberhäuptling in den vier Jahren, in denen er ihn nicht mehr gesehen hatte, kaum älter geworden, aber doch verändert. In die kühne Zuversicht der Züge Tashunka-witkos begann sich der Ausdruck einer entschlossen-verbitterten Abwehr zu mischen. Seine Mundwinkel zogen sich herab; die Falten, die an den Nasenflügeln ansetzend herunterliefen, waren tiefer geworden. Die Augen, die der Indianer gegen Sonne, Wind und Staub der Prärie meist mit
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