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Der junge Häuptling

Der junge Häuptling

Titel: Der junge Häuptling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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befehligten Forts erwartete. Selbst Tschetansapa, der Anführer der Männer vom Bund der Roten Hirsche, hatte nicht geglaubt, daß sein Häuptling in so kurzer Frist zurück sein könnte. Tokei-ihto ließ seinen Falben ruhen und weiden und setzte sich selbst zu den Kriegern, die im Dunkeln in dem Grassteppental lagerten. Auf den Anhöhen wachten die Posten. Unbemerkt ließ der junge Häuptling den Blick von Mann zu Mann wandern. Jeden kannte er von Kind an: Tschetansapa, den um fünf Jahre älteren Freund, Speerspitze, den Sohn Tschotankas, Antilopensohn, Ihasapa sowie alle anderen. Seit Harry Tokei-ihto vor zwei Jahren zu seinem Stamm zurückgekehrt war, waren ihm diese Männer in den Kampf gefolgt. Er hatte sie einzeln, in Gruppen oder alle zusammen bei vielen kühnen Handstreichen geführt, zuletzt bei dem Angriff, dessen Opfer Leutnant Warner geworden war. In den vergangenen beiden Jahren, in denen er die Verantwortung trug, war nicht ein einziger Krieger der Bärenbande gefallen. Die Hauptlast des Kampfes hatte der Häuptling selbst getragen. Smith und seine Leute aber lebten wie Gefangene hinter den Palisaden. Das Vorhaben, das der junge Häuptling jetzt plante, war jedoch größer und schwieriger als alle vorangegangenen.
    Tschetansapa, ein hagerer langer Mensch, hatte sich bei seinem Häuptling eingefunden, und diese beiden Anführer sprachen in der angehenden Nacht noch leise miteinander. Die Kundschaftermeldungen besagten, daß die Munitionskolonne und ihre Begleitmannschaften bereits aufgebrochen waren und sich auf dem Wege zu dem Fort am Niobrara befanden. Die Männer der Bärenbande planten, die Kolonne abzufangen, ehe sie das Fort erreichte. Sie wollten dann mit der Munition, die sie dringend brauchten, an dem Fort vorbei in ihre Jagdgründe durchbrechen. Die zweite Aufgabe war nicht leichter als die erste.
     
     

 
Cate in der Prärie
     
    Das junge Mädchen hörte seinen eigenen Todesschrei und befand sich dann in der Finsternis. Sie vermochte sich nicht zu rühren. Die Glieder waren ihr vom nachwirkenden Schrecken wie gelähmt, und der Angstschweiß stand ihr an den Schläfen und in den Handflächen. Sie konnte nicht einmal denken. Allmählich erst leiteten ihre Nerven wieder die Wahrnehmungen aus ihrer Umgebung zu ihrem Gehirn. Sie lauschte auf das dumpfe Geräusch, das an ihr Ohr drang, und fühlte ein Rütteln und Holpern unter sich.
    Cate begriff, daß sie grauenvoll geträumt hatte und jetzt erwacht war. Tief atmete sie und fühlte ihr Herz wieder schlagen. Die Starre ihrer Glieder löste sich. Sie wagte es, sich zu bewegen, setzte sich auf, griff nach der Stirn und ordnete das Tuch, das sie um Hals und Brust gelegt hatte. Es war vollständig dunkel um sie. Die Geräusche und das Schütteln und Rütteln stammten von dem Planwagen, in dem sich das junge Mädchen befand. Sie wandte den Kopf der vorderen Öffnung der Plane zu und spähte hinaus. An dem Wagen war keine Laterne angebracht. Die breiten Rücken und die großkrempigen Hüte des Kutschers und des Begleitmannes nahm sie nur als Schatten wahr. Cate versuchte, nach den Sternen auszuspähen in der Hoffnung, daß deren Licht die Erinnerung an ihre schrecklichen Traumbilder verscheuchen werde. Aber der Ausblick durch die Öffnung der Plane war begrenzt, und sie erkannte in der Nacht nicht viel mehr als Plane und Hinterräder des ersten Wagens der Kolonne, der vor ihrem fuhr. Das Mädchen lauschte.
    Gleichmäßig trabten alle sechs Maultiergespanne. Die Räder holperten über den weglosen Grasboden, die begleitenden Reiter schwärmten aus und kehrten zurück. Hufschlag und Rädergeräusche ergaben eine Nachtmusik ähnlich dumpfen Trommeln. Cate wunderte sich, wie sicher die Gespanne in der Finsternis liefen. Sie hatte selbst kutschieren gelernt und daher ihre stillen Bedenken gehegt, wie diese Nachtfahrt vor sich gehen würde. Aber die Maultiere stolperten nicht. Diese Tiere und auch die Menschen, unter denen sie sich jetzt befand, lebten unter anderen Bedingungen und entwickelten andere Fähigkeiten, als man sie in der Stadt und auf bebautem Land fand. Cate spürte den Atem der Prärie stärker. Sie zog die eiskalte Luft ein, die über die endlosen, nur mit hartem Gras besetzten Flächen des Hochlandes strich.
    Der Platz des Mädchens im Wagen wurde dadurch beengt, daß eines der schweren Kistchen bei der holpernden Fahrt ins Rutschen geraten war. Der Strick, der es gehalten hatte, war gelöst. Cate wußte, was diese Kistchen enthielten:

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