Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der junge Häuptling

Der junge Häuptling

Titel: Der junge Häuptling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
Vom Netzwerk:
Red Fox setzte sein einseitiges Gespräch fort. »Ich habe mir das überlegt und werde dir kein unnützes Angebot mehr machen, lieber Harry. Wenn ich aber oben herumlaufe in der Sonne, so wird es mir ein Vergnügen sein, daran zu denken, daß du hier im Dunkeln dahinsiechst. Das dauert Tage und Wochen und Monate, und wenn du nicht als entlaufener Kundschafter, Rebell und Meuchelmörder gehängt wirst, so dauert es Jahre.«
    Red Fox machte eine Pause und wartete. Der Dakota, der nach außen ruhig und gleichgültig schien, hatte im Innern bei den Worten seines Feindes einen Frostschauer gefühlt. Seine Augen hatten den Raum schon durchforscht; er war kahl und leer. Dicke Stämme bildeten die Wände; die Astansätze waren im Dämmerlicht zu erkennen. Monate … Jahre … oder der Galgen – der Dakota schüttelte den Gedanken heftig ab. Red Fox begann wieder zu sprechen; sein Ton veränderte sich.
    »Hast du nicht Geld bei dir?« fragte er.
    »Das könnte ich brauchen!«
    Er durchsuchte die Gürteltaschen des Gefangenen. Die Mienen des Indianers verrieten nicht, wie sehr er unter seiner demütigenden Ohnmacht litt.
    »Ah!« Red Fox hatte einen mit einer Geldrolle gefüllten Beutel gefunden. Er nahm die alten Dollarmünzen heraus und ließ sie von einer Hand in die andere klimpern. Dann steckte er sie zu sich.
    »Das gibt ein paar gute Drinks! Auf dein Wohl, Häuptling der Dakota!«
    Der Weiße entfernte sich noch immer nicht.
    »Wie ist es mit deinen Federn?« sprach er weiter und hob die Adlerfederkrone vom Haupt des Gefesselten. »Schade, daß du nicht den Schmuck mit der Schleppe mitgebracht hast, der hätte dir eigentlich noch besser gestanden. Für uns war’s dir wohl nicht der Mühe wert, ihn aufzusetzen? Na, seien wir zufrieden. Dieser hier ist auch nicht schlecht. Wo hast du nur alle diese Adler aufgespürt? Oder sind die Federn noch von Pa und Opa? Jackman sammelt solches Zeug. Ich werde ihm das bringen, und er wird sich freuen. Geizig ist er – aber einige Dollars wird er mir doch zahlen müssen. Ohne mich hätte er diese Sache niemals zustande gebracht. Ich habe ihn gut beraten, das mußt du zugeben. Ich bin nicht so dumm wie du. Ich lasse keinen mehr laufen, wenn ich ihn erst einmal bei mir zwischen den Wänden habe.«
    Der Dakota entnahm den Worten, daß der Verrat vorbereitet gewesen war, wie er angenommen hatte. Auch die vollständige Leere des Kellerraumes ließ darauf schließen. Es war unwahrscheinlich, daß man den Raum sonst gar nicht benutzte. Man hatte ihn geräumt.
    »Gehab dich wohl und laß deine Hoffnung fahren«, verabschiedete sich Red Fox. Eine Leiter aus kräftigen Birkenstämmchen wurde eben ratternd heruntergelassen. Red Fox stieg hinauf, zog die Leiter hinter sich hoch und schloß den Deckel.
    Tokei-ihto war allein.
    Er richtete sich trotz seiner Fesseln auf und schaute zur Decke. Seiner Schätzung nach konnte er sie auch mit ausgestreckten Armen nur im Sprung erreichen. Er maß die Länge und die Breite des Raumes; der Keller war weiträumig und schien unter zwei Zimmern, dem Arbeits- und dem Schlafzimmer des Kommandanten, durchzugehen. Die Luke befand sich unter dem Schlafzimmer. Es war noch früh am Nachmittag, und das Licht fiel schräg bis zum staubigen Kellerboden. Im Hof und oben im Haus hörte man Kommen und Gehen. Der Dakota unterschied die Stimmen und das Hinundherlaufen der Offiziere, die mit dem Feldscher noch immer um Smith bemüht waren. Er glaubte zu vernehmen, daß man den Bewußtlosen schließlich in den anstoßenden Raum, wahrscheinlich auf das Feldbett, brachte.
    Durch die Luke sah der Gefangene die Stiefel vorbeieilender Soldaten. Rufe und Antworten wurden laut, in zornigem und gehässigem Tonfall. Es schien keine gute Stimmung draußen zu herrschen. Die alten Mannschaften des Majors hielten mit ihrer Empörung nicht zurück. Als der Tag vorgeschritten war und die Lichtstrahlen verblaßten, hörte Tokei-ihto, wie bei der quietschenden Pumpe im Hof erbittert gestritten wurde. Befehlende Stimmen fuhren dazwischen, und die Ruhe wurde wiederhergestellt. Sie war nur vorübergehend.
    Mit sinkender Dämmerung erhob sich im Mannschaftshaus der Lärm einer wüsten Rauferei. Das Poltern und Schreien setzte sich bis auf den Hof fort; Thomas, Theo und Adam schienen einen ganzen Packen Roach-Anhänger auf einmal hinauszuwerfen. Schließlich fielen Schüsse. Der Knall mochte die erhitzten Gemüter erschrecken und abkühlen; vielleicht hatte es auch Schwerverwundete gegeben. Der

Weitere Kostenlose Bücher