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Der junge Häuptling

Der junge Häuptling

Titel: Der junge Häuptling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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erstenmal den Kampf mit seinen Fesseln auf. Sein Verstand sagte ihm, daß er sich nicht selbst befreien konnte, und dennoch versuchte er es. Er wollte die Kette über die Hüften herabstreifen. Er versuchte es mit allen Kräften seiner schmerzenden gefesselten Arme, und es wäre ihm gleichgültig gewesen, wenn er sich mit den Kleidern auch die Haut abgestreift hätte.
    Nur frei werden!
    Der Indianer versuchte es drei Nächte hindurch. In seinen Zügen hatte sich etwas verändert, als diese drei Nächte vergangen waren. Er wußte jetzt endgültig, daß er sich selbst nicht zu helfen vermochte.
    Der Sommer schritt voran. Auf der Prärie dörrte das Gras; die Wasserläufe versiegten; die Holzhäuser speicherten die Hitze auf. Wolken und Sand stäubte der Sturm über die Blockhäuser. Die Stimmen der Vögel verstummten, und die Pferde wieherten nicht mehr. Immer schärfer roch das Salzfleisch, gegen das der Gefangene einen fast unüberwindlichen Widerwillen hegte. Ein großer Teil der Besatzung zog ab. Ob der Biber seinen Häuptling vergessen hatte? Die Gelegenheit zur Befreiung war jetzt günstiger.
    Wieder kam ein schwüler Tag von jener sengenden Glut, die das waldlose Land bis zum Ende des Sommers unbarmherzig heimsuchte. Der Wind wehte heiß; die Luft im Keller war verbraucht und stickig von drückender Wärme; sie lastete auf der Brust. Der Staub auf dem Boden des Kellers war wie Pulver. Es roch brandig. Irgendwo mußte das Feuer über die dürre Steppe gerast sein. Der Wind brachte den Geruch mit.
    Wieder einmal tänzelten und stampften die Hufe des falben Mustangs draußen im Hof unwillig im Kampf mit einem fremden Reiter. Eine mehrschwänzige Lederpeitsche klatschte grausam auf den Pferdekörper, und der Dakota zuckte und biß in seine Handschellen, denn ihm war, als ob er selbst gepeitscht würde. Der Reiter draußen flog zu Boden, und man trug ihn fort. Ein Mann mit weichen Mokassins an den Füßen fing den zornigen Mustang mit viel Mühe wieder ein.
    Gegen Abend sprang von neuem der Sturm auf. Er rüttelte an Pfahlmauern und Blockhäusern. Im Umsehen stürzten die Bretter des Turmdaches mit krachendem Gepolter in den Hof herab. Stimmen wurden laut, halb verweht vom fauchenden Atem der Prärie. Schon platschten auch die ersten Regentropfen, und beim nächsten Herzschlag schien es, als seien die Wolken geborsten; schwere Wasser stürzten vom Himmel. Im Nu war der Hof überschwemmt. Durch die Luke schoß ein Wasserstrahl in den Keller und mischte seine Nässe mit der staubigen Erde, die ihn nicht aufsaugen wollte. Der Sturzregen trommelte auf die Dächer.
    So unvermutet, wie das Unwetter gekommen war, so rasch ging es vorüber. Innerhalb von kaum zwei Minuten ließ der Regen nach und hörte ganz auf; der Wind legte sich. Von den Dächern troff es in friedlichem Nachklang in die Pfützen des überschwemmten Hofes. Die Menschen wagten sich ins Freie; ihre Stiefel klatschten und spritzten im Wasser. Das Geschrei ihrer Stimmen ging um das abgedeckte Dach. Man suchte die Bretter zusammen; Tokei-ihto verstand, daß die Wiederherstellung gleich in Angriff genommen werden sollte.
    Das Wasser schien aus dem Hof abzufließen; der Strahl, der sich in den Keller ergossen hatte, wurde dünner und versiegte schließlich in Tropfen. Tokei-ihto sog die würzige Luft ein, die jetzt in belebender Kühle auch zu ihm herunterwehte und um seinen von den Fesseln gequälten Körper strich.
    Zur Abendstunde öffnete sich die Bodenluke. Die Birkenleiter wurde herabgelassen, und Tokei-ihto sah Reiterstiefel, die auf den Sprossen Fuß faßten. Er erkannte sofort, daß es diesmal nicht die Stiefel des Vierschrötigen waren. Sein Blick verfolgte den Herabsteigenden, bis auch der blonde Schopf sichtbar wurde.
    Der Dakota kannte diesen Rauhreiter, das war Adams. Eine unbestimmte Erwartung und ein tiefsitzendes Mißtrauen rührten sich zugleich in dem Gefangenen. Der junge Mensch brachte Wasser und Pökelfleisch.
    »Endlich ist es soweit«, sagte er dabei. »Thomas und Theo haben alles vorbereitet. Die beiden geben keine Ruhe, sie haben dich als Jungen gekannt, und sie wollen dich befreien. Tag und Nacht liegen sie mir in den Ohren. Hier«, er zog ein Werkzeug aus der Tasche, »hier hast du eine Eisenfeile. An den Schlüssel konnten wir nicht heran. Du mußt ein Glied deiner Kette durchfeilen; dick ist sie nicht, damit wirst du schon fertig bis Mitternacht. Halte dich dann bereit. Die Leute des Biber sind von Thomas verständigt. Sie

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