Der junge Häuptling
Jetzt blieben seine wasserblauen Augen mit unverhohlener Neugier an dem Griff des Dolches hängen. Behutsam nahm er ihn zur Hand und beschaute ihn.
»Ein Kultmesser mit uralten Schnitzereien«, sagte er. »Nordwestkultur! Wie kommt das in die Hand eines Dakota?«
Er winkte seinen Leuten, die mit Handschellen und Riemen an die Indianer herantraten. Red Fox machte sich das Vergnügen, derjenige zu sein, der Tokei-ihto die Fesseln anlegte. Als dies geschah, entstand eine Bewegung.
Major Smith hatte sich mühsam erhoben und trat vor. Durch die gezackten Adern an seinen Schläfen pulste das Blut.
»Oberst Jackman«, sprach er keuchend, »es ist genug dieses frevelhaften Spiels. Ich sehe, daß Ihr die Häuptlinge mit Gewalt bedrohen wolltet, um sie zur Unterschrift zu bewegen. Laßt mich glauben, daß dies Eure Absicht war! Das Spiel ist mißlungen; die Häuptlinge haben sich nicht gefügt. So treibt es nicht weiter, und kehrt zurück zum Ernst der freien Beratung.« Jackman ließ Tokei-ihtos Stoßklinge, mit der er gespielt hatte, polternd auf den Tisch zurückfallen.
»Major Smith! Ich bitte Euch, nicht weiter über diese Dinge zu reden; es ist Eurer Gesundheit nicht zuträglich. Auch werdet Ihr Euch in dem kommenden Verfahren kaum damit nützen, daß Ihr jetzt noch einmal Partei für den Dakota ergreift. Die Angelegenheit ist abgeschlossen.«
»Solange ich lebe, dulde ich es nicht! Es ist ein Bubenstück!« Von der Erregung noch einmal hoch aufgerichtet, trat der Offizier an Red Fox heran, der die Fesseln um Tokei-ihtos Handgelenke schloß.
»Laß ab!«
Er packte den Rauhreiter hart am Arm. Der Mann ließ den Dakota los und stieß Smith mit der Faust vor die Brust.
Der Major wankte.
»Hund! Das mir …« Seine Lippen wurden blau, seine Augen verdrehten sich, und er stürzte. Die anwesenden Offiziere sprangen herbei, fingen ihn auf und legten ihn zu Boden.
»Watson!« rief einer. Einer der Rauhreiter verließ den Raum, um den Feldscher zu holen.
Red Fox war inzwischen wieder an den Häuptling herangetreten und fesselte ihm auch die Füße. Die beiden alten Dakota standen schon gebunden; ihnen hatte man die Füße frei gelassen. Sie wurden jetzt abgeführt. Ein letztes Mal sahen sie ihrem Häuptling in die Augen. Tokei-ihto behielt man im Arbeitszimmer. Der Raum leerte sich. Nur ein Rauhreiter blieb außer Red Fox noch zurück. Er bückte sich und hob ein Stück Fußboden wie einen Deckel auf. Red Fox packte den Häuptling und schleifte ihn zu der Stelle; ein dämmriges Loch gähnte dem Indianer entgegen. Red Fox hob den Gefesselten auf und warf ihn hinunter.
Der Kellerraum war ziemlich tief. Tokei-ihto fiel hart auf trockenen, staubigen Erdboden. Sofort richtete er sich wieder zu sitzender Stellung auf und sah um sich. Der Keller, in den er gefallen war, war groß. Eine schmale Luke, die zu dem Hof führte, ließ etwas Helligkeit herein. Dazu kam jetzt der Lichtschein, der aus dem Kommandantenzimmer durch die Bodenöffnung herunterdrang. Der Dakota schaute hinauf.
»Die Leiter!« hörte er oben rufen und vernahm, wie die Außentür geöffnet wurde und ein Reiter mit schweren Stiefeln hinaustrampelte. Red Fox schien jedoch nicht warten zu wollen, bis dieser wiederkam; er sprang in den Keller hinab. Der Staub wirbelte unter seinen Füßen auf und zog in trüben Wölkchen um seine Knie herum.
»Da bist du!« sagte er, packte den Gefangenen am Arm und zog ihn zu der östlichen Längswand des Raumes. An einem der dicken Wandbalken war hier eine Kette mit einem eisernen Ring angeschlossen. Red Fox legte die Kette dem Dakota eng um den Leib und befestigte sie mit einem Schloß; zwischen der Wand und dem Gefangenen blieb ein Spielraum von etwa einem Meter Kette. Der Rothaarige untersuchte die Handschellen und die ledernen Fußfesseln noch einmal auf das genaueste. Er schien alles in Ordnung zu finden.
Tokei-ihto hoffte, daß der Feind gehen würde. Aber er blieb. Breitbeinig stand er da.
»Gut, Harry«, sagte er nach langem Schweigen. »Das ist also das Ende.« Er deutete mit dem Daumen zur Luke hinauf.
»Wenn du dort hinaufschaust, siehst du ein Stück von dem neuen Haus – von dem Haus, meine ich, das jetzt an dem Platz steht, an dem sich der zahnlose Ben angebaut hatte. Dort ist dein Alter krepiert. Es kann dir ein Trost sein, daß du an der gleichen Stelle stirbst.« Tokei-ihto schaute stumm vor sich hin.
»Du bist ein Hartschädel. Stein mit Hörnern ist einer deiner vielen Namen, und du verdienst ihn«,
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