Der junge Häuptling
Lärm ebbte ab, und langsam trat Stille ein. Es wurde dunkle Nacht.
An der zum Arbeitszimmer des Kommandanten führenden Falltür rührte es sich. Der Deckel wurde aufgehoben, die Leiter herabgelassen. Füße tappten herunter; eine schlanke uniformierte Gestalt erschien. Die mitgebrachte Petroleumlampe beleuchtete das Milchgesicht von Anthony Roach. Der Leutnant kam näher. Er leuchtete den Gefangenen auf zudringliche Art ab, ehe er zu sprechen begann.
»Nun?« fragte er dann. »Hast du dir die Sache überlegt? Wie wäre es, wenn du doch noch unterschreiben würdest?«
Tokei-ihto würdigte den Sprecher keiner Antwort.
»Immer noch stolz? Denke scharf nach, Dakota! In die Reservationen müßt ihr – so oder so. Wenn du unterschreibst, kommst du vielleicht aus diesem Loch noch lebend wieder heraus. Wenn nicht – dann stirbst du hier wie die Ratte in der Falle. Langsam, aber sicher. Nun? Hast du mir nichts zu sagen?«
»Nichts, als daß ich dich verachte, Anthony Roach.«
»Danke ergebenst. Das kann meiner Karriere nur nützen. Jackman hat mir die Ernennung zum Capt’n schon mitgebracht. Und wenn du doch noch zur Vernunft kommen solltest, so laß es mich wissen!«
Der Häuptling wandte sich ab, als sei Roach gar nicht mehr vorhanden.
»Dummkopf!« knurrte der Abgewiesene und begab sich über die Leiter wieder hinaus aus dem Kellerraum. Tokei-ihto blieb wieder allein. Er wartete einige Stunden. Als er gewiß war, daß die Nacht ihre Mitte überschritten hatte und die Stunden des tiefsten Schlafes für die Besatzung gekommen waren, rollte er sich zusammen wie ein Igel und befühlte seine Fußfesseln. Sie waren scharf angezogen, das Blut stockte, und die Beine schwollen immer stärker an. Tokei-ihto versuchte, ob er mit seinen gebundenen Händen die Knoten lockern könne. Es schien zu gehen, wenn auch sehr schwer. Geduldig arbeitete der Gefangene Stunden hindurch, bis die Fesseln lockerer saßen.
Lösen wollte er sie nicht, denn seine Handgelenke steckten in den eisernen Schellen, die er doch nicht aufzumachen vermochte, und ebensowenig vermochte er ohne Hilfe und Spezialwerkzeuge die Kette, die um seinen Leib lief, zu öffnen. Er mußte warten, bis Tschapa handelte, und bis dahin wollte er keinen Verdacht erregen. Es war unwahrscheinlich, daß der Getreue schon in dieser Nacht etwas unternahm, denn die Situation war für einen Befreiungsversuch sehr ungünstig. Tschapa Kraushaar mußte alle Umstände genau auskundschaften und seine Vorbereitungen sorgfältig treffen. Das konnte möglicherweise Wochen in Anspruch nehmen.
Tokei-ihto versuchte zu schlafen, denn er wollte bei Kräften bleiben. Es war noch sehr früh am Morgen, als er wieder erwachte. Draußen schien die Sonne, aber ihre Strahlen kamen nicht zu ihm herein. Von der Pumpe hörte der Gefangene Lärm, rauhe Scherze und das Spritzen und Klatschen von Wasser. Die Rauhreiter und Soldaten wuschen sich. Der Dakota war, wie alle seine Stammesgenossen, von Kind an gewöhnt, jeden Morgen in den fließenden Bach zu springen, zu tauchen und zu schwimmen. Er vermißte die erfrischende Kühle und die Reinlichkeit. Der Boden des Kellers war voll Schmutz und Staub; Ascheteilchen mischten sich mit ausgetrockneter Erde.
Um die Mittagszeit wurde der Deckel in der Kellerdecke geöffnet. Ein vierschrötiger Rauhreiter erschien. Er nahm dem Gefangenen die Fußfesseln ab und brachte Wasser und Pökelfleisch.
»Ich muß jetzt alle Tage kommen«, erzählte er dabei in vorwurfsvollem Ton, und Tokei-ihto bemerkte den Ausdruck einer ständigen Unzufriedenheit, der sich dem Gesicht des Mannes eingeprägt hatte.
Langsam strichen die Nachmittagsstunden dahin. Tokeiihto horchte auf alle Geräusche draußen, das war seine Beschäftigung. Die Besatzung mußte immer noch sehr zahlreich sein, und es schien, daß jetzt ein Teil außerhalb der Station lagerte. Dauernd schrien die Torangeln am Westtor, und Menschen gingen aus und ein. Ein Gesurre von Stimmen und Rufe von weit her mischten sich mit dem Murmeln des Flusses. Pferde wieherten sich in einer großen Herde zu, und die Hufschläge ausschwärmender und zurückkehrender Reitertrupps donnerten dumpf auf dem Steppenboden. Einmal waren Hammerschläge zu hören und das knallende Flattern loser Zeltwände. Wie gut kannte der Indianer alle diese Geräusche des Lagerlebens.
Als es dunkelte, unterdrückte der Häuptling wieder mit Gewalt seine Gedanken. Er verschloß sein Ohr vor den Stimmen der Prärie, vor dem Jaulen der Wölfe und
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