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Der junge Häuptling

Der junge Häuptling

Titel: Der junge Häuptling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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dachten. Dort gelang es der Truppe, die Kinder herauszugreifen und mitzunehmen. Mit ihrer verzweifelten Menschenbeute rückte die Dragonerschar wieder ab. Blitzwolke schaute den Davonreitenden noch nach. Sie hörten die klagenden Schreie der beraubten Väter und Mütter, das jammervolle Geschrei der verschleppten Kinder, das allmählich in der Ferne verklang.
    Aus Tschetansapas tiefer Kopfwunde strömte das Blut. Er kniete noch im Grase. Tschapa und Tschotanka stützten ihn. Untschida kam herbei, um die Wunde zu verbinden. Der Schädelknochen war angesplittert, nicht durchstoßen. Der Bastverband färbte sich dunkel, aber allmählich ließ die Blutung nach.
    Da es dem Abend zuging, blieb die Bärenbande am Platz. Tschetansapa war grau im Gesicht; nur mit Anstrengung hielt er sich auf den Füßen. Er teilte alle Krieger sehr bedacht ein, und die Männer waren bereit, einen weiteren Angriff abzuschlagen. Doch ließ sich kein Feind mehr sehen. Wahrscheinlich hatte der Befehl nur gelautet, eine bestimmte Anzahl Kinder in das Internat zu bringen, und dem war Genüge getan. So vermutete und erklärte Tschapa.
    Am nächsten Morgen tauchte aber wieder Militär auf. Die Bärenbande sowie die Schar der ihrer Kinder beraubten Väter und Mütter wurden weitergetrieben. Die beiden Wanderzüge gelangten zu einem Sammelplatz, an dem sich schon viele Dakota mit ihren Familien eingefunden hatten. Tschapa lauschte auf alles, was sein Ohr nur irgendwie erhaschen konnte, und bald konnte er mitteilen, worum es ging: Die Männer hatten alle Waffen abzugeben. Aber das Messer durften sie behalten, da es für sie nicht nur Waffe, sondern notwendiges Werkzeug war.
    Der Befehl wurde jetzt von verschiedenen Seiten her laut erteilt und übersetzt.
    Die Dragoner hielten das Sammellager rings umstellt. Nachdem der Befehl zur Abgabe der Waffen erteilt war, legten sie die Karabiner an. Jeden Augenblick konnte eine Folge von Salven abgegeben werden.
    Das Einsammeln der Waffen begann. Die Krieger der Bärenbande hielten sich eng zusammen.
    »Es ist soweit«, sagte Tschetansapa zu seinen Kriegern.
    »Wir alle werden wie die Weiber.«
    Er gab als erster seine Waffe ab: die Büchse ohne Munition, den Bogen, das Schlachtbeil. Tschapa folgte seinem Beispiel.
    Blitzwolke spürte, wie ihr ein Zittern durch den ganzen Körper lief.
    Im ganzen Lager war es totenstill, nur ein paar Soldaten fluchten, wenn es irgendwo nicht schnell genug vorangehen wollte. Kontrollen gingen kreuz und quer durch die Schar der Lagernden.
    Die Männer der Bärenbande hatten ihre Waffen schon abgeliefert. Mit leeren Händen standen sie bei ihren Frauen und Kindern. Diese Männer waren von ihrem vierten Lebensjahr an zu Jägern und Kriegern erzogen worden. Plötzlich waren ihnen ihre Arbeit und ihre Freiheit genommen.
    Keiner mochte den anderen ansehen. Da standen sie, die Sieger in vielen Kämpfen, in Schlachten gegen die weißen Männer; da standen sie, unterworfen, entwaffnet, gefangen auf einem Stück Grassteppe ohne Wild. Blitzwolke hatte ein seltsames Gefühl der Übelkeit. Es gab niemanden mehr, der sie beschützen oder ernähren konnte. Ihre Welt brach zusammen. Sie war den Feinden ausgeliefert.
    Drei Schüsse krachten. Von den Männern und Frauen der Bärenbande hatte keiner gesehen, wer sie abgab. Aber die kampfgeübten Krieger mußten im gleichen Bruchteil der Sekunde erfaßt haben, was die Dragoner beabsichtigten, denn Tschetansapa schrie den Frauen und Kindern schon zu: »Hinlegen!« und ließ sich selbst ins Gras fallen.
    Eine Salve krachte von ringsumher in die Wehrlosen hinein. Kinder schrien auf. Verwundete krümmten sich; ihr Blut floß. Sterbende wälzten und streckten sich. Das war das Werk und die Wirkung von wenigen Sekunden. Langsam erhob sich Tschetansapa. Er schaute mit einem einzigen Blick hinüber zu dem Kreis der Schützen, die die Gewehre neu geladen hatten. Blitzwolke spürte, was Tschetansapa empfand. Aber er war ein Mann ohne Waffen.
    In den Armen Mongschongschahs lag das abgemagerte kleine Kind, es war tot. Tschapa blutete am Oberschenkel. Die Frau des Alten Raben lag in einer Blutlache und konnte nicht mehr sprechen. Ihre Enkelin, das Mädchen Eidechse, stand hilflos bei ihr. Ihasapas kleiner Bruder krümmte sich in Qualen. Ein Geschoß hatte ihn in den Leib getroffen.
    Untschida und Uinonah waren mit anderen Frauen zusammen schon damit beschäftigt, zu helfen, wo sich noch helfen ließ. Blitzwolke hielt sich an der Seite Uinonahs und ging ihr und

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