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Der junge Häuptling

Der junge Häuptling

Titel: Der junge Häuptling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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verhungern lassen?« hörte er Tschetansapa fragen.
    »Wir müssen hingehen und mit ihnen darüber reden.«
    »Das magst du tun.«
    Tschapa verzog sichtlich die Lippen und holte sich den Alten Raben und einen Krieger mit Namen Tschotanka, um mit ihnen zu dem Befehlshaber der Dragoner zu gehen. Die drei Männer mußten lange warten und viele unnütze Spottreden mit anhören. Tschaske trieb der Zorn das Blut ins Gesicht. Endlich durften die Männer sprechen.
    »Sagt uns«, begann Tschapa Kraushaar, und was er sprach und hörte, übersetzte er zugleich, damit seine Gefährten unterrichtet wurden. »Sagt uns, wovon wir hier leben sollen. Unsere Vorräte gehen zu Ende.«
    »Hoho! Mann! Du Dakota-Nigger! Bestens werdet ihr hier leben! Rentiers werdet ihr! So bequem möchten wir das einmal haben! Wir reiten morgen zur Agentur zurück, und übermorgen habt ihr Lieferungen. Alles in Ordnung.«
    Tschapa konnte diese Zusicherung nicht in Zweifel ziehen; das hätte keinen Zweck gehabt. Der Abend neigte sich zur Nacht. Eulen und Fledermäuse, die in der Wüstenei bisher ein ungestörtes Dasein geführt hatten, piepten und schrien, Kojoten und Hunde heulten. Das Geheul der Tiere war das einzige, was für die Vertriebenen heimatlich klang. Der Knabe Hapedah hockte im elterlichen Zelt. Er schaute stumm auf seinen Vater Tschetansapa, der sich an der neu gerichteten Feuerstelle niedergelassen hatte. Die Flämmchen leckten an den Zweigenden, sie beleuchteten die knochigen Schultern und den Bastverband am Kopf. Ein Stück Haarboden, Fleisch und Knochensplitter waren abgerissen. Tschetansapa mußte schwere Wundschmerzen haben, aber aus seinen Augen, mit denen er in das Feuer stierte, aus den Furchen auf der Stirn und um den Mund sprachen Gedanken und Empfindungen, die noch tiefer gehen mochten und schmerzvoller sein mußten als blutende Körperwunden. Hapedah verstand den Vater nur zu gut. Tschetansapa hatte die Krieger zu den noch freien Scharen der Dakota, zu Tatanka-yotanka und Tashunka-witko führen wollen. Es war ihm nicht gelungen.
    Im Hintergrund des Zeltes saß Mongschongschah; ihre Hand streichelte unablässig die leer gewordene Kindertrage. Sie hatte die Trage mit schwarzen Federn gefüllt, als Zeichen der Trauer. Hapedah setzte sich näher zur Mutter und blickte dabei noch unentwegt auf den Vater am Feuer. Wie die Fledermäuse draußen, so flatterten um den Jungen die schwarzen Gedanken. Auch seine Kindheit war zu Ende. Die Träume von Büffeljagd und siegreichem Kampf, von Heimat und Freiheit waren ausgeträumt. Mit dem waffenlosen Vater und der von Schmerz zerstörten Mutter hockte er im Zelt.
    Noch vor Morgengrauen lief er aus dem Tipi, hinaus vor das Zeltlager, und schaute stumm, ganz allein in die Ferne bis hin zu dem Bergstock der Black Hills, bei dem es zu schneien schien. Hinter diesen Bergen lagen die Prärien, in denen es noch Männer der Dakota gab, Krieger, die über die Langmesser gesiegt hatten, Krieger, die nicht bezwungen waren. Wann würden sie kommen, um ihre gefangenen Brüder und Schwestern wieder zu erlösen?
    Tschapa Kraushaar war so früh wie Hapedah aus dem Tipi geschlüpft, und Blitzwolke, die ihren Oheim allein sah, kam zu ihm. Die beiden blieben am Ende des Zeltlagers stehen, zwischen Sand und Felsen, unter dem verblassenden Sternenhimmel. Tschapas einziger Traum, den er noch als Hoffnung mit sich herumgetragen hatte, war zerrissen und gebrochen, und er mußte dies dem Kind gestehen.
    Hier auf diesem Boden konnte die Bärenbande nie so viel Vieh züchten und nie so viel säen und ernten, daß sie sich selbst davon zu erhalten vermochte. Die Männer wurden nicht aus Jägern zu Züchtern, sondern aus freien arbeitenden Menschen zu Gefangenen und Bettlern. Er konnte dem Mädchen, das bei ihm stand, kein aufrichtendes Wort sagen. Zu was für einem Leben wuchs Blitzwolke heran?
    Der Tag und die folgende Nacht gingen vorüber. Die Sonne erhob sich wieder über dem Horizont und erfüllte auch das wüste Land mit ihrem Licht. Viele Krieger standen stumm zwischen den Zelten und beobachteten, ob die Milahanska nun endlich aufbrechen würden, wie sie schon zwei Tage zuvor versichert hatten. Die Dragoner erhoben sich jedoch nicht. Nur zwei von ihnen richteten die Ferngläser nach Südosten und bemerkten, nicht früher als die Dakota mit bloßem Auge, daß sich aus dieser Richtung einige Reiter näherten. Diese Reiter ritten nach indianischer Sitte einer hinter dem anderen, und bald war zu erkennen, daß sie mit

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