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Der junge Häuptling

Der junge Häuptling

Titel: Der junge Häuptling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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jetzt den Rauch ausgiebig durch die Lunge. »Aber es kamen mehr und mehr und immer wieder Fremde, die von diesem Vertrag nichts wußten, und unsere Häuptlinge mußten immer neue Verträge schließen. So sind meine Väter gewandert von dem Fluß Delaware bis zu dem Fluß Susquehanna und von dem Fluß Susquehanna zu den Bergen der Alleghanies und von den Bergen der Alleghanies zum Fluß Ohio und von dem Fluß Ohio zum Illinois und vom Illinois zum Mississippi, und vom Mississippi sind sie endlich zum Missouri getrieben worden! Sie mußten wandern und immer wieder wandern, im Sommer und auch im Winter, wenn unsere Weiber und unsere Kinder vor Kälte und Hunger starben!« Der Delaware sprach mit wachsender Leidenschaft. Seine Zuhörer waren mitgerissen; und bei den letzten Worten fühlten sie sich unmittelbar angerührt, denn auch den Dakota war entgegen allen beschworenen Verträgen befohlen worden, mitten im härtesten Winter mit Weibern und Kindern über Hunderte von Meilen hin in die Reservation zu ziehen.«
    »Meine Väter«, berichtete der Delaware weiter, und die Möglichkeit, nach vielen Jahren wieder einmal zu Männern zu sprechen, die ihn verstanden, schien ihn zu überwältigen, »meine Väter sind dem Häuptling Tekumseh gefolgt, der die Krieger aller freien Stämme zu sich rief und zu dem auch die Tapfersten der Dakota kamen, und sie haben in der großen Schlacht von Tippecanoe gekämpft. Sie sind dabeigewesen, als wir den toten weißen Männern Erde in den Mund gaben, damit sie endlich satt würden an unserem Land. Aber sie sind nicht satt geworden. Unsere Männer, unsere Weiber und unsere Kinder sind gewandert und gestorben, und die noch lebten, haben von dem Zauberwasser der weißen Männer getrunken, um ihren Kummer zu vergessen. Einige Männer meines Stammes sitzen auf der Reservation. Sie lassen sich dort von einem ›weißen Vater‹ und von Wächtern, die in seinem Dienst stehen, vorschreiben, wie sie leben müssen.«
    Die Zuhörer hatten bis zum Schluß mit stillschweigender Achtung und Ergriffenheit zugehört. Auch als der Delaware abbrach, nahm keiner sogleich das Wort. Es trat ein Augenblick des Schweigens ein, der wie eine Ehrung für den todesmutigen Kampf eines großen und edlen Volkes wirkte.
    »Unser Bruder Chef de Loup gehört selbst zu den Söhnen der Lenni-Lenape, die auf einer Reservation geboren wurden?« fragte Sitting Bull mit gedämpfter Stimme.
    »So ist es. Ich bin mit vierzehn Jahren dort entflohen und in den Dienst der Milahanska (=Langmesser = Säbel) gegangen, weil ich die freie Prärie liebte.«
    »Chef de Loup ist einer Reservation entflohen. Rät er dem Stamm der Dakota, dem Befehl der Milahanska zu folgen und auf eine Reservation zu gehen?« Die Mienen des Delawaren verschlossen sich wieder.
    »Ich habe den großen Häuptlingen der Dakota keine Ratschläge zu geben, da ich den Männern meines eigenen Stammes nicht zu raten weiß. Wir können die Langmesser nicht besiegen.«
    »Auch unsere Feinde haben Männer und Waffen verloren, wenn sie gegen uns kämpften. In dem Krieg gegen die Seminolen starben für jeden toten oder gefangenen Seminolen hundert Milahanska; die Langmesser haben sieben Winter und Sommer gekämpft, und gesiegt haben sie erst, als sie den großen Häuptling Osceola durch Wortbruch und Verrat gefangennahmen.«
    »Will Tatanka-yotanka den Krieg?« Chef de Loup nannte Sitting Bulls Namen jetzt absichtlich in der Dakotasprache.
    »Wir wollen unsere Prärie und Treue zum Vertrag.«
    »Die Häuptlinge der Langmesser sind bereit, mit Tatanka-yotanka und Tokei-ihto zu verhandeln.«
    »Wer will mit uns beraten?«
    »Oberst Jackman im Haus des Samuel Smith am Fluß Miniatanka-wakpala.«
    »Der große Vater aus Washington wird nicht selbst kommen, um mit Tatanka-yotanka zu sprechen?«
    »Das wird ihm nicht möglich sein.«
    »Dann wird es auch Tatanka-yotanka nicht möglich sein, seinen Fuß in das Haus der Langmesser zu setzen. Warum zwei Häuptlinge der Dakota, um mit einem Häuptling der Langmesser zu beraten? Oberst Jackman kommt, gut, auch ein Häuptling der Dakota wird kommen …« Tatanka-yotanka dehnte das letzte Wort und sah Tokei-ihto an, der schweigend zugehört hatte. Auch der weißhaarige Alte mit seinem stechenden Blick und Chef de Loup schauten jetzt auf den jungenKriegshäuptling. Tokei-ihto zögerte.
    »Verrat ist möglich – bei den Langmessern«, sagte seine Stimme gedämpft nach einer langen Pause.
    »Wie du selbst sagst, Tatanka, hat es

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