Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der junge Häuptling

Der junge Häuptling

Titel: Der junge Häuptling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
Vom Netzwerk:
sank ermattet und steif auf die Decken und Felle, die die Häuptlingsschwester über das Schlafgestell gebreitet hatte. Seine Rückenverletzung hatte sich durch die Anstrengung dieses Abends noch verschlimmert. Die Frauen gingen zusammen zur Ruhe. Tokei-ihtos Lagerstatt blieb unbenutzt. Der Häuptling hatte sich in eine alte abgebrauchte Büffeldecke gewickelt und am Rand des Zeltes niedergelegt. Die Zeltwand war an dieser Stelle noch aufgeschlagen und wurde durch einen gegabelten Stock etwas hoch gehalten, so daß die bitter kalte Nachtluft hereinstrich. Ohitika, der Wolfshund, war zurückgekehrt. Zusammengerollt diente er seinem Herrn als Kopfkissen.Der Delaware sah hinüber zu dem schlafenden Häuptling. Er erkannte nur den dunklen Schatten, nicht einmal die Atemzüge waren zu hören. Draußen rauschte der Fluß. Zwei einsame Flöten klagten in der Frühlingsnacht in einfachen, sich immer wiederholenden Tönen. Es war das Liebeslied der jungen Krieger, das von Uinonah, der Häuptlingsschwester, nicht erhört wurde. Das Lied war schön wie das Wunder der Frühlingsblüten auf rauhen Steppen und schwang in dem Herzen des Delawaren nach.
    Tobias, der mürrische Kundschafter, hatte schon lange kein Weib mehr angesehen. Mit dem Namen Wolfshäuptling und den Erinnerungen an den stolzen Delawarenstamm aber rührten sich in ihm auch die Empfindungen eines Mannes, die von dem Zauber einer echten Tochter der Prärie erregt wurden. Die uneingestandenen Gefühle für das Mädchen übertrugen sich unwillkürlich in eine verborgene Freundschaft für ihren Bruder, der der Lebensretter des Delawaren geworden war.
    Chef de Loup erbitterte sich im stillen über den Zwang, den angesehene Krieger des Stammes auf den jungen Häuptling ausübten. Sie wollten ihn als Unterhändler zu den weißen Männern senden, deren Absicht Tokei-ihto selbst offenbar auf das stärkste mißtraute. Der Delaware hoffte, daß die Ratsversammlung des kommenden Tages in Tokei-ihtos Sinn entscheiden werde.
    Chef de Loup kam in dieser Nacht nicht zur Ruhe. Er lag noch wach, als der erste Schimmer des Morgengrauens in das Zelt drang. Der junge Häuptling hatte sich schon erhoben und eilte zu dem gewohnten Morgenbad hinaus. Der Delaware hörte aus der Entfernung die Stimmen und das Lachen der Schwimmer. Die Söhne der Prärie liebten die Fröhlichkeit. Wenn dies den weißen Männern unbekannt war, so lag es daran, daß sie ihren Mitmenschen sowenig Anlaß zur Heiterkeit und soviel Grund zu Ernst und Feindschaft gaben.
    Die Frauen reinigten das Zelt, und die ältere brachte dem Gast als Frühstück Pemmikan. Uinonah rief ein Dutzend Hunde oder mehr zusammen, schwarze, braune, weiße, gefleckte, große und kleine. Sie band den unruhigen Tieren mit Schnüren aus Büffeldärmen Lederdecken auf den Rücken. Die Hunde wurden bei den Indianern als Tragetiere gebraucht und sollten bei der Einbringung der Jagdbeute des Vortages mithelfen. Pferde wurden herbeigeführt, und eine Zahl von Frauen und Mädchen sammelte sich auf dem Dorfplatz. Zu Pferde zogen sie unter Führung der Häuptlingsschwester aus, um die erlegten Büffel auszunehmen, zu zerteilen und Fleisch, Knochen und Häute ins Dorf zu schaffen. Chef de Loup sah den Ausziehenden nach, bis sie entschwunden waren. Tokeiihto kam vom Bad zurück und legte wieder seine Festkleidung und den Adlerfederschmuck an, um sich in das Beratungszelt zu begeben und an der Besprechung und Entscheidung der Würdenträger über Jackmans Angebot teilzunehmen. Als er gegangen war, ließ die alte Indianerin die Zeltwand herab, als ob sie den Wunsch des Gastes, zu schlafen, erraten hätte.
    Es war schon Abend, als Chef de Loup wieder erwachte. Tokei-ihto kam in sein Zelt zurück. Tatanka-yotanka selbst geleitete ihn, und als sich der große Zaubermann von dem jungen Häuptling am Zeltfeuer verabschiedete, sagte er:
    »Die Versammlung der Ratsmänner hat beschlossen: Tokei-ihto wird auf das Fortgehen und mit Oberst Jackman verhandeln. Wir wollen nicht den Krieg, sondern den Frieden. Ich habe aber noch keinen Mann getroffen, der aus Washington kam und die Wahrheit sprach. Tokei-ihto wird sich also von einigen seiner Männer in Waffen begleiten lassen! Ich habe gesprochen.«
    Der Zaubermann und Oberhäuptling verabschiedete sich, um sich in das Zauberzelt Hawandschitas zu begeben, wo er zu Gast war.
    Tokei-ihto überreichte dem Delawaren die an Jackman gerichtete Zusage; der Brief war in Bildersprache auf Leder verzeichnet. Zum erstenmal

Weitere Kostenlose Bücher