Der junge Häuptling
freute sich Chef de Loup über die Verletzung, die der Büffelstier ihm beigebracht hatte. Auch beim besten Willen konnte er die Botschaft noch nicht auf die Blockhausstation bringen, und weder er selbst noch Tokei-ihto hatten ein Interesse daran, die Zusammenkunft mit Jackman zu beschleunigen.
Hatte Chef de Loup in der vergangenen Nacht infolge seiner inneren Unruhe nicht geschlafen, so wurde er in der jetzt beginnenden durch die äußeren Vorgänge gestört. Der Häuptling erhielt irgendeine alarmierende Nachricht; er griff zu seinen Waffen, rief einige Kampfgefährten heran und verließ mit ihnen zu Pferde das Zeltdorf.
Spät in der Sternennacht kehrten die berittenen Frauen mit der Büffelbeute zurück. Die Fleischpacken, die noch nicht gereinigten Häute, die Knochen, die Därme wurden auf dem Dorfplatz aufgestapelt und bewacht, damit die gierigen Hunde sich nicht daran zu schaffen machen konnten. Am Morgen arbeiteten alle Frauen draußen auf dem Dorfplatz. Die Büffelhäute wurden von Fleischresten gereinigt und zum Trocknen aufgespannt, das Fleisch zum Teil in Leder eingeschnürt, um in der kalten Erde vergraben zu werden; andere Teile wurden in feine Streifen geschnitten und an langen Büffeldarmschnüren zum Trocknen im Wind aufgehängt. Die große Beute gab allen Händen Arbeit. Haltbarmachung des Fleisches, die Einteilung der Häute für die Herstellung von Kleidung und Schilden sowie für den Zeltbau, die Verwendung der Knochen geschah nach den Beschlüssen der Ratsmänner. Kleines Wild mochte jeder in seinem Zelt verbrauchen, wie es ihm gefiel, obwohl er auch über solche Beute dem Rat des Stammes jedesmal zu berichten hatte. Die Büffel, heilige Tiere und Lebensgrundlage für den Jägerstamm, wurden nach gemeinsamem Beschluß verwendet, und es wurden von den unabhängig lebenden Indianern nicht mehr erlegt, als der Stamm selbst brauchte.
Als die Jagdbeute so weit bearbeitet war, daß sie auch auf weiten Strecken transportiert werden konnte, machten sich die nicht zum Dorf gehörenden Krieger – etwa siebzig Dakota, zehn Pani und fünf Absaroka – mit einigen ihrer Frauen, die sie begleitet hatten, und deren Lasttieren auf. Chef de Loup vermutete, daß diese Kriegerscharen sich am Pferdebach vereinigt hatten, um gemeinsam das Fort zu überfallen, das kurz vorher schon von Tokei-ihto allein zerstört worden war. Jetzt machten sie sich mit der willkommenen Büffelbeute auf den Heimweg.
Der Häuptling und seine wenigen Kampfgefährten waren noch nicht zurück. Während Chef de Loup die letzten Stunden des Tages hindurch mit nachdenklichen Erwägungen beschäftigt war, erhielt er Besuch von einem Indianermädchen. Das zierliche Mädchen, auf dessen Schulter ein zahmes Eichhörnchen saß, mochte etwa acht Jahre zählen und stand damit am Ausgang des Kindesalters. Sie war nicht hübsch, aber ihre lebhaften Augen hatten einen klugen Ausdruck. Sie beachtete den Delawaren gar nicht, sondern suchte sich einige für einen Jagdrock zugeschnittene Lederteile aus einem Packen heraus, als ob sie hier im Zelt schon zu Hause sei. Dann fing sie flink und fleißig an zu nähen. Immer wieder schlüpfte die beinerne Ahle mit einer als Faden benutzten langen Sehne durch das Leder. Erst als ein Knabe, Pfeil und Bogen in der Hand, draußen vorbeiging, sah das Mädchen von der Arbeit auf.
»Hapedah, du Haarkämmer!« rief sie. »Lange hast du deine Haare wieder gebürstet, und deine Zöpfe sind sehr schön geflochten. Aber haben deine Pfeile auch ins Ziel getroffen? Oder haben die Jungen Hunde über dich gelacht?«
Der Knabe blieb stehen und schaute in das Zelt. »Meine Pfeile treffen immer! Die Knaben im Bund der Jungen Hunde haben Tschaske und mich, Hapedah Schwarzfalkensohn, heute zu ihren Anführern gewählt!« Er zögerte, entschloß sich aber dann doch, einen Schritt in das Tipi hereinzukommen.
Ein Schuß fiel. Sofort verstummte das Geschwätz der noch arbeitenden Frauen auf dem Freiplatz. Alle horchten, auch Chef de Loup und die beiden Kinder. Je stiller es im lauschenden Lager wurde, desto größer war der Eindruck, als eine Salve krachte.
»Weit entfernt«, begutachtete der Delaware ruhig. Er wandte sich an den Knaben. »Kannst du beurteilen, Schwarzfalkensohn, wer geschossen hat?«
»Ja, das kann ich«, kam die selbstbewußte Antwort des etwa Elfjährigen.
»Watschitschun haben geschossen. Tokei-ihto ist in der vergangenen Nacht mit einigen unserer Krieger gegen sie ausgezogen. Es sind zehn Räuber, und die
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