Der junge Häuptling
Ohren des Wolfshäuptlings vom Stamm der Delawaren werden auch vernommen haben, daß ungefähr zehn Schüsse auf einmal gefallen sind. Das sind die ›Mazzawaken‹ der Watschitschun. Unsere Kugeln sind zu schade für diese schmutzigen Ratten. Wir vertreiben sie mit Pfeilen.«
»Hau!« rief das kleine Mädchen. »Unsere Kugeln sind zu schade, und wenn uns Monito auch hundert Geheimniseisen bringt, so werden wir doch nicht auf diese Kojoten damit schießen.« Chef de Loup horchte auf. Monito? Das war der Name eines berühmten Waffenschmugglers, eines geheimnisvollen Mannes, den noch kaum jemand zu Gesicht bekommen hatte, mit dessen Namen sich aber Erzählungen von den frechsten Schmugglergeschäften verbanden.
»Schweig«, sagte Hapedah streng zu der Kleinen. »Was schwatzt du? Du bist aus einem Zelt von Verräterinnen!«
Der Knabe zog ab.
Das Mädchen senkte den Kopf tief. Sie fing wieder an zu nähen, aber ihre Augen schwammen von unterdrückten Tränen. Nahm sie sich den Vorwurf, in Gegenwart eines Fremden von der Verbindung der Bärenbande zu einem Waffenschmuggler geschwatzt zu haben, so tief zu Herzen? Oder steckte hinter Hapedahs Vorwurf noch mehr? Was bedeuteten die Worte »aus einem Zelt von Verräterinnen«? Chef de Loup betrachtete das Mädchen aufmerksamer.
»Du bist keine Verräterin«, tröstete er sie. »Meine Zunge schweigt.«
Das Mädchen blickte erleichtert auf. »Für Chef de Loup nähe ich diesen Rock«, erzählte sie ihm. »Mein Name ist Blitzwolke.«
»Die weißen Mädchen sind ungeschickter als die Dakota«, sagte der Delaware überzeugt und dachte daran, daß Cate, die mehr als doppelt soviel Jahre gesehen hatte wie Blitzwolke, noch nicht einmal sich selbst ein Kleid nähen konnte.
»Bei den Watschitschun gibt es Krieger, die Röcke für kleine Mädchen nähen«, berichtete er. Blitzwolke lachte hell auf.
»Die Watschitschun sind überhaupt sehr merkwürdige Menschen«, meinte sie.
»Mein Oheim Tschapa hat mir erzählt, daß sie sich umgestülpte Töpfe aufsetzen und sich das Feuer über dem Kopf aufhängen.« Blitzwolke meinte Hüte und Lampen.
»Ja, das tun sie. – An Tschapa Kraushaar hast du einen sehr tapferen Oheim.«
»Er ist tapfer, und ich liebe ihn sehr. Darum bin ich oft betrübt, daß der feindliche Geist, der in der Mutter meiner Mutter wohnt, ihm viel Kummer macht. Kann Chef de Loup mit Geistern sprechen?«
»Nein.«
»Hawandschita, unser Geheimnismann, kann den bösen Geist, der in unserem Zelt wohnt, auch nicht bezwingen«, schüttete Blitzwolke weiter ihr Herz aus. »Dieser Geist lügt viel, er sagt immer, daß die Dakota besiegt werden. Aber das ist nicht wahr. Hawandschita hat mit den Geistern gesprochen. Es ist gewiß, daß wir siegen und alle Watschitschun wieder aus unseren Prärien und Wäldern vertreiben werden. Der lügnerische Geist aber, der in unsere alte Mutter gefahren ist, hat mich schon geschlagen, weil ich ihm nicht glauben kann. Du weißt wohl, daß es keinem Knaben oder Mädchen der Dakota sonst geschieht, daß sie geschlagen werden.«
Chef de Loup empfand ein bitteres Schamgefühl, denn er dachte an die Schläge, die er selbst von den weißen Männern erduldet hatte. – Blitzwolke tat ihm leid. Er begriff jetzt, warum Hapedah von einem Zelt von Verräterinnen sprach. Wenn der Delaware auch überzeugt war, daß die pessimistische Großmutter im Biberzelt den Kriegsausgang richtiger prophezeite als der falkenäugige Hawandschita, so mochte es doch für Tschapa und seine kleine Nichte oft sehr schwer sein, mit einer von einem Geist Besessenen zusammen zu hausen. Alle Erscheinungen des Wahnsinns oder anderer schwerer nervöser Leiden hielten die Indianer, die sich diese Krankheiten nicht erklären konnten, für die Auswirkungen spezieller Geister, und sie begegneten solchen Kranken mit einer außerordentlichen Geduld. Blitzwolke nähte schweigend weiter.
Da die Zeltwände aufgeschlagen waren, sah Chef de Loup die Abendsonne über den noch verschneiten Häuptern der Rocky Mountains. Die Frauen auf dem Dorfplatz beendeten ihre Arbeit für diesen Tag. Die Häuptlingsschwester kam ins Zelt zurück, mit ihr die ältere Frau, deren große prüfende Augen, deren wohlausgebildete Stirn dem Delawaren schon aufgefallen waren. Sie wurde von Uinonah als Untschida, Großmütterchen, angesprochen und mußte die Mutter des geächteten und dann ermordeten Mattotaupa sein. Der Delaware erhielt eine köstliche Abendmahlzeit aus Büffelhirn und Büffelnieren. Die
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