Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Junge im gestreiften Pyjama (German Edition)

Der Junge im gestreiften Pyjama (German Edition)

Titel: Der Junge im gestreiften Pyjama (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
Vom Netzwerk:
nicht ihm. Wochenlang hatte nichts als Aufregung geherrscht. Erst waren der Furor und die schöne blonde Frau zum Abendessen gekommen, was den ganzen Haushalt zum Erliegen gebracht hatte, und dann kam die neue Sache, dass Vater mit Kommandant angesprochen werden sollte. Mutter hatte Bruno aufgefordert, Vater zu gratulieren, und er hatte ihr gehorcht, obwohl er, wenn er ehrlich zu sich war (und das versuchte er immer zu sein), nicht so recht wusste, wozu er ihm eigentlich gratulierte.
    Am ersten Weihnachtstag trug Vater die nagelneue gestärkte und gebügelte Uniform, die er jetzt jeden Tag trug, und die ganze Familie klatschte, als er sich zum ersten Mal darin zeigte. Sie war wirklich etwas Besonderes. Gemessen an den anderen Soldaten, die im Haus ein- und ausgingen, stach er heraus, und seit er sie trug, schienen sie ihn umso mehr zu respektieren. Mutter lief zu ihm, küsste ihn auf die Wange, fuhr mit der Hand vorn über die Jacke und ließ sich darüber aus, wie gut der Stoff ihrer Ansicht nach war. Bruno beeindruckten vor allem die vielen Verzierungen auf der Uniform, und man erlaubte ihm sogar, die Mütze kurz zu tragen, vorausgesetzt seine Hände waren sauber, wenn er sie aufsetzte.
    Großvater war sehr stolz auf seinen Sohn, als er ihn in der neuen Uniform sah, aber Großmutter gab sich unbeeindruckt – als Einzige. Nachdem die Familie gegessen hatte und sie, Gretel und Bruno ihre neueste Produktion vorgeführt hatten, setzte sie sich traurig in einen der Lehnstühle und musterte Vater, dann schüttelte sie den Kopf, als hätte er sie sehr enttäuscht.
    »Ich weiß nicht – habe ich an dem Punkt vielleicht einen Fehler bei dir gemacht, Ralf?«, sagte sie. »Ich frage mich, ob dich die vielen Auftritte, zu denen ich dich als Junge gedrängt habe, so weit gebracht haben. Dass du dich anziehst wie eine Marionette.«
    »Aber Mutter«, sagte Vater mild. »Du weißt, dafür ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt.«
    »Du stehst da in deiner Uniform«, fuhr sie fort, »als würde sie dich zu etwas Besonderem machen. Offenbar kümmert es dich gar nicht, was sie eigentlich bedeutet. Wofür sie steht.«
    »Nathalie, wir haben es vorher besprochen«, sagte Großvater, auch wenn jeder wusste, dass Großmutter, wenn sie etwas sagen wollte, immer einen Weg fand, es zu sagen, ganz gleich, wie unbeliebt sie sich damit machte.
    » Du hast es besprochen, Matthias«, sagte Großmutter. »Ich war bloß die leere Wand, an die du deine Worte gerichtet hast. Wie immer.«
    »Das ist eine Feier, Mutter«, sagte Vater seufzend. »Und es ist Weihnachten. Verderben wir uns nicht alles.«
    »Ich weiß noch, als der Erste Weltkrieg begann«, sagte Großvater stolz, starrte ins Feuer und schüttelte den Kopf. »Ich weiß noch, wie du nach Hause gekommen bist und uns erzählt hast, dass du dich als Soldat gemeldet hast, und ich sicher war, dass dir etwas passiert.«
    »Ihm ist auch was passiert, Matthias«, beharrte Großmutter. »Sieh ihn dir doch an.«
    »Und jetzt, ich kann es kaum glauben«, fuhr Großvater fort und ignorierte sie. »Ich bin so stolz, dass man dir eine so verantwortungsvolle Position anvertraut. Du hilfst deinem Land, seinen Stolz zurückzugewinnen, nachdem man ihm dieses große Unrecht zugefügt hat. Die Strafen ...«
    »Ach, wenn du dich hören könntest!«, rief Großmutter. »Ich frage mich, wer von euch eigentlich der Dümmere ist.«
    »Aber Nathalie«, sagte Mutter, darum bemüht, die Lage ein wenig zu entschärfen. »Findest du nicht, dass Ralf in seiner neuen Uniform sehr adrett aussieht?«
    »Adrett?« , fragte Großmutter, neigte sich vor und sah ihre Schwiegertochter an, als hätte sie den Verstand verloren. » Adrett sagst du? Du albernes Ding! Ist das in deinen Augen wichtig für die Welt? Dass dein Mann adrett aussieht?«
    »Seh ich auch adrett aus in meinem Zirkusdirektorkostüm?«, fragte Bruno, denn das hatte er bei der Feier an jenem Abend getragen – den rotschwarzen Anzug eines Zirkusdirektors, in dem er sich sehr stolz gefühlt hatte. Aber sobald er den Mund aufmachte, bereute er es auch schon, denn alle Erwachsenen schauten zu ihm und Gretel, als hätten sie die Anwesenheit der beiden völlig vergessen.
    »Kinder, nach oben mit euch«, sagte Mutter ungeduldig. »Geht in eure Zimmer.«
    »Aber wir wollen nicht«, protestierte Gretel. »Dürfen wir nicht hier unten spielen?«
    »Nein, Kinder«, erwiderte sie unbeirrt. »Geht nach oben und schließt die Tür hinter euch.«
    »Offenbar interessiert

Weitere Kostenlose Bücher