Der Junge mit den blauen Haaren
bekomme ich schon nicht mehr mit.
23)
F ür die nächsten drei Tage bin ich vom Unterricht befreit.
Ich genieße die ersten Stunden, indem ich mich ausgiebig mit meinen Büchern beschäftige, die eine wochenlange Ignoranz meinerseits so überhaupt nicht gewöhnt sind.
Kay versorgt mich mit Frühstück, Mittags- und Abendessen. Danach hockt er sich zu mir und gibt mir einen Abriss dessen, was heute alles im Unterricht durchgenommen wurde. Außerdem behandelt er meinen malträtierten Rücken wieder mit der wirklich guten Salbe.
Das tut er mit einer solchen Selbstverständlichkeit, als würden wir uns schon seit Jahren kennen, und nicht erst seit wenigen Wochen.
Wie ein altes Ehepaar, das sich den schmerzenden Rücken mit Rheuma-Salbe einreibt ...
Er richtet mir Grüße von Rheena, Dan, Greg und Tiger aus und lässt die Bemerkung fallen, dass Miss Viola vermutlich am morgigen Tag einmal zu mir hereinschauen wird.
Es ist so angenehm in seiner Gesellschaft, dass ich es mir verkneife, ihn zu fragen, ob er nicht etwas Besseres zu tun hat, als bei mir rumzuhängen. Aber ich kann den Gedanken nicht ertragen, alleine hier oben im Turm zu hocken. Also beschließe ich, egoistisch zu sein – mit verdammt schlechtem Gewissen.
Am zweiten Tag meiner unfreiwilligen Unterrichts-Abstinenz schaut tatsächlich Miss Viola in aller Herrgottsfrühe zu mir herein. Sie hat mein Frühstück dabei und lässt mir Genesungswünsche vom gesamten Lehrkörper da.
Nachdem sie sich mehrmals davon überzeugt hat, dass mein Ausschlag am Abklingen ist, fragt sie noch nach, ob Kay sich auch gut um mich kümmert.
Wie bitte? Da ich das mit bestem Gewissen bejahen kann, scheint sie beruhigt und verlässt mich, da ihr Unterricht in wenigen Minuten beginnt.
Als Kay nach dem Abendessen wieder Anstalten macht, seine Freizeit mit mir zu verbringen, lässt sich mein schlechtes Gewissen nicht länger in die Schranken weisen.
„Bitte, Kay“, beginne ich, „du musst das nicht machen!“
Seinen bösen Blick kenne ich inzwischen und ignoriere ihn geflissentlich.
„Ich muss überhaupt nichts“, sagt er dennoch.
„Ja, ja“, rattere ich herunter, „ich weiß, du möchtest das.“
Sein Blick wird nicht gerade weniger ärgerlich, doch ich gebiete ihm Einhalt.
„Aber ich möchte, dass du dich mit unseren Freunden triffst. Wenn ich es schon nicht gebacken kriege, die ersten Wochen in der neuen Schule unversehrt zu überstehen, darfst wenigstens du den Anschluss nicht verlieren.“
Kay holt tief Luft, aber ich lasse ihn erst gar nicht zu Wort kommen.
„Nein“, fauche ich ihn an, „ich will keinen Ton hören. Ich weiß, wovon ich spreche.“
Zu spät erkenne ich, dass das ein Fehler war.
Jetzt habe ich Kays Aufmerksamkeit, obwohl ich ihn doch eigentlich fortschicken will.
„Keine Chance“, sagt er da auch schon und schüttelt heftig den Kopf.
„Naja, ich mach’s kurz“, sage ich lapidar, „in meiner letzten Schule“, ich lache hart auf, schließlich war es ja meine einzige, „kamen diese kleinen Unfälle immer dazwischen. Daher ist es mir nie gelungen, Anschluss zu finden.“
Kay beugt sich zu mir herüber und küsst mich sanft auf die Stirn. „Das tut mir Leid, Kim!“
„Ich weiß“, murmele ich. Dann spreche ich wieder lauter. „Und deswegen möchte ich, dass du jetzt zu den anderen in den Park gehst. Es reicht, wenn du mir anschließend noch Gute Nacht sagst.“
Ich schlucke heftig, denn natürlich ist es gelogen.
Niemals wird es mir reichen. Aber ich habe nun mal beschlossen, dies zu meiner heutigen guten Tat zu machen.
„Ach, da fällt mir ein, Rheena wollte dich gerne besuchen“, sagt Kay.
Meine Augen strahlen.
„Also darf ich sie zu dir schicken?“
„Ich würde mich freuen“, gebe ich leise zu.
„Okay, wenn ich weiß, dass du nicht alleine bist, dann gehe ich für ein Stündchen zu den anderen“, erklärt Kay sich schließlich bereit. Ich atme heimlich auf.
„Wir sehen uns nachher, Kleines“, sagt er, drückt mich noch einmal, winkt und schon ist er weg.
Jetzt gestatte ich mir ein zittriges tiefes Einatmen.
Wie konnte es nur so schnell passieren, dass ich mich so sehr an Kay gewöhnt habe?
Und ist gewöhnt überhaupt die richtige Bezeichnung für das, was ich fühle?
Lange Zeit, um hierüber nachzugrübeln, habe ich allerdings nicht, denn nur wenige Minuten später klopft es und eine rotwangige, schwer atmende Rheena steckt ihren Kopf zur Tür herein.
„Hi, Süße“, hechelt sie und ich muss grinsen. Rheena ist die 126
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