Der Junge mit den blauen Haaren
ich kriege es nicht zu fassen.
Ich kann sie nur von hinten sehen und das lässt keine sonderlich schlüssigen Hinweise auf die Person zu, da sie in einen weißen Kittel gehüllt ist, der nicht einmal Aufschluss über ihre Figur zulässt.
Die, ich nehme mal an, Kinderschwester, beugt sich über das Bettchen und nimmt das Mädchen heraus.
Sie sagt irgendetwas zu ihm, doch ich kann nichts hören.
War ja klar!
Das kleine Mädchen scheint sich jedoch zu beruhigen.
Als ich gerade denke, dass die Schwester das Baby jetzt wieder in das Bettchen legt, dreht sie sich um und verlässt fluchtartig den Raum. Mit dem Baby auf dem Arm.
Das alles geht so schnell, dass ich keinen Blick auf ihr Gesicht werfen kann.
Außerdem rauscht das Blut so gewaltig durch meine Adern, dass es in meinen Ohren dröhnt.
Und dann ist es vorbei.
Wie immer lösen sich die Traumbilder an den Rändern auf.
Das Letzte, das ich wie in jedem Traum sehe, ist Kays trauriges Gesicht.
25)
H eute endet meine Inhaftierung.
Ich habe ausgezeichnet geschlafen und anlässlich meiner Morgentoilette mit Entzücken festgestellt, dass mein Ausschlag vollends verschwunden ist.
Jetzt ist es Nachmittag und Kay hat mir, als er mir beim Mittagessen Gesellschaft geleistet hat, erzählt, dass ich heute Abend wieder am öffentlichen Leben teilnehmen darf.
Deshalb verwende ich heute besondere Sorgfalt auf mein Aussehen und habe mich zur Feier des Tages in einen Jeansmini nebst dazu passender ärmelloser Bluse gehüllt … oder auch nicht gehüllt.
Wie man's nimmt.
Eigentlich enthüllt der Mini mehr von meinen, zugegeben sehr ansehnlichen, Beinen, als alle Kleidungsstücke, die ich bisher getragen habe.
Ausgelassen tanze ich laut singend durch mein Zimmer.
„Hey“, höre ich Kays glucksende Stimme von nebenan, „dir geht’s wohl wieder richtig gut, hm?“
„Komm rein!“, fordere ich ihn, noch immer laut grölend, auf.
Die Türe öffnet sich und Kay, nur in Jeans - sein Oberkörper ist nackt und er ist barfuß - kommt zu mir herein.
Ganz kurz nur stockt mir der Atem.
Ich tanze weiter und genieße seinen anerkennenden Blick und natürlich den atemberaubenden Anblick, der sich meinen Augen bietet.
Ob seine Anerkennung meinen Sangeskünsten gilt, wage ich zu bezweifeln.
Allerdings tangiert mich das nur sehr peripher und ich winke Kay mit meinem Zeigefinger zu mir heran.
Gott, bin ich heute mutig!
Grinsend kommt er auf mich zu geschlendert und geht sofort auf mein neckisches Spielchen ein.
Auch das ist eine Sache zwischen uns, die ich nicht genau erklären kann. Die sich aber verdammt richtig anfühlt.
Über das Stadium, dass ich bei einer solchen Kinderei rot werde und vor mich hin stammele, bin ich seit der Juckpulver-Attacke hinaus.
Unpassenderweise singe ich „I’m a man“, doch Kay hat beschlossen, meinen Gesang mit seiner Stimme zu unterstützen und ich muss zugeben, bei ihm stimmt’s.
He’s a man … und was für einer!
Sind wir bisher noch umeinander herum getänzelt, ist Kay plötzlich ganz nah bei mir und legt seine Hände auf meine Hüften.
Seine Schultern zucken im Rhythmus der Melodie und seine Haare fliegen bei jeder seiner Kopfbewegungen. Unsere sich wiegenden Hüften kommen einander näher … treffen sich hin und wieder.
Ich muss mich schon sehr anstrengen, um weiter zu singen, denn die Situation erfährt augenblicklich eine Wendung von albern zu sinnlich.
Abrupt beenden wir unsere künstlerische Einlage.
Kays Hände ruhen noch immer auf meinen Hüften.
„Ich bin froh, dass du es nicht bist“, raunt er ganz dicht an meinem Ohr.
Häh? „Ich meine, ich bin sehr froh darüber, dass du kein Mann bist“, erklärt er und sieht mich so intensiv an, dass mir schwindlig wird.
Los, sag was! Irgendetwas Intelligentes! „Ich auch“, murmele ich.
Intelligenzbestie! Unsere Blicken versinken ineinander und dann … piepst mein Laptop.
Ich stolpere einen Schritt zurück und flitze mit hochroten Wangen zum Schreibtisch.
Gerettet!
„Oh“, rufe ich, als ich sehe, wer mir eine Mail geschickt hat, „von Rheena. Sie freut sich darauf, nach dem Abendessen noch irgendetwas gemeinsam mit uns zu unternehmen.“
Als ich Kay ansehe, flackert kurz etwas in seinen Augen auf – Enttäuschung?
Sofort hat er sich wieder im Griff und lächelt.
„Hey, wie wär’s mit Kino?“
Ich kann mich gerade noch am Schreibtisch festhalten.
„Kino?“, krächze ich, „du meinst … ähm … wir dürfen hier raus?“
Mit zwei Schritten ist Kay bei mir. Er umfasst meine Schultern und sieht
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