Der junge Seewolf
gab mir dieses offene Handschreiben für Sie. Wissen Sie, daß er ein mächtiger Mann in der Ostindischen Handelskompanie ist?« fragte der Kapitän.
Als David verneinte, murmelte er: »Auch gut! Wenn sie ein tüchtiger Offizier werden, würde mich seine Förderung für Sie freuen. Wenn nicht, dann hoffe ich, daß er klug genug ist, das auch zu merken. Sie können abtreten.«
David grüßte und zog sich verwirrt zurück.
Am Niedergang vom Achterdeck las er das kurze Schreiben: »Lieber David! Erlauben Sie einem älterem Freund diese Anrede. Mrs. MacMillan, Susan und ich haben Sie sehr schätzen gelernt und bedauern, daß nicht mehr Zeit blieb, unsere Bekanntschaft zu vertiefen. Wenn Sie Ihr Weg nach London führt, können Sie mich immer über das East India Haus in der Leadenhall Street erreichen. Ich würde mich freuen, wenn ich Ihnen zu Diensten sein könnte, und verbleibe mit den besten Wünschen für Ihre Zukunft Ihr aufrichtig ergebener Abraham MacMillan.«
Die nächsten Tage waren von Bordroutine geprägt. Mit leichtem, raumen ›Soldatenwind‹ lief die Shannon an der Küste Spaniens und Portugals entlang. David dachte immer wieder an Susan und das Medaillon, das er gern immer angeschaut hätte und doch tief in der Seekiste verstecken mußte, um dem Spott der Kameraden zu entgehen.
Wenn er Leutnant wäre, dann könnte er mit Susan Gesellschaften und Bälle in London besuchen, sie würden im Licht der Kerzen tanzen, und auf dem nächtlichen Balkon würde er den Arm um ihre Schulter legen und …
»Mr. Winter!« bellte der wachhabende Offizier. »Sie sind hier, um aufzupassen, daß die Brassen und Schoten richtig aufgeschossen werden, aber nicht, um zu schlafen. Sehen Sie denn nicht, was diese versoffenen Landratten für ein Kuddelmuddel mit den Tauen angerichtet haben? Sorgen Sie für Ordnung!«
»Aye, aye, Sir.« Susan war weit weg, und David wandte sich den Matrosen zu, die das Tauwerk noch einmal aufschossen.
Gilbert Marsh grinste schadenfroh und wollte zum Sprechen ansetzen. Als er aber Davids verächtlichen, kalten Blick sah, erfror sein höhnisches Lachen, und er wandte sich ab.
»Land voraus, drei Strich Steuerbord!« hallte die Stimme des Ausgucks, und die Midshipmen und Servants, die sich um den Master zum Navigationsunterricht scharten, blickten auf.
Mr. Hope strich sich erwartungsfroh über das Kinn: »Na, dann werden wir mal sehen, was die jungen Herren für einen Landfall ausmachen. Wie war die letzte Peilung, Mr. Simmons?«
Der sah auf die Schiefertafel am Ruder: »Achtunddreißig Grad fünfzehn Minuten Nord, neun Grad zwanzig Minuten West, Sir.«
»Dann merken Sie sich das alle einmal. Mr. Palmer, würden Sie die Güte haben und die Karte holen, die oben auf meinem Kartentisch liegt.«
Er nahm ein Teleskop aus dem Ständer, gab zwei weitere an die Midshipmen und ging mit ihnen zur Steuerbordreling.
»Jetzt sieht sich jeder die Landmarken genau an, hält aber den Mund, bis ich ihn frage!«
Er legte die Karte halb auf die Reling, ließ sie von einem seiner Maate halten und forderte: »Nun kommen Sie nacheinander zu mir und zeigen mir auf der Karte, welchen Punkt sie entdeckt haben!«
Nacheinander traten die jungen Männer heran, studierten die Karte und tippten auf die Landmarke.
»Abgesehen davon, daß einige der Herren Fingernägel wie ein Kohlenknecht haben, ist das ja recht erfreulich. Den wenigen, die Kap Espichel zu sehen glaubten, muß ich sagen, daß wir dann nach der letzten Peilung hätten Südkurs steuern müssen. Wir sind aber ziemlich genau nordwärts gesegelt. Es ist die Insel Bugio an der Südseite der Tejo-Mündung. Man erkennt sie an dem Turm, den sie Tore de Bugio nennen.«
Er wies sie auf die Untiefen hin, die sich südlich und westlich der Insel und westlich vom Nordufer erstreckten, erklärte ihnen, daß die Fahrrinne des Tejo, auch Tagus genannt, nur etwa eine Meile breit sei und man sofort ankern müsse, wenn der Wind nicht mehr aus westlicher Richtung wehe.
Sie passierten das Fort Sao Juliao an der Nordseite, nahmen den Lotsen an Bord, ankerten vor Trafaria an der Südseite des Flusses, um die Zoll-, Gesundheits- und Hafenformalitäten zu erledigen und gingen dann wieder flußaufwärts.
Der Master, der sie auf Bemerkenswertes hinwies, zeigte nach Norden: »Das ist der Turm von Belem, eines der Wahrzeichen Lissabons. Er steht im seichten Uferwasser und hat zwei bis vier Geschütze in einer hochgelegenen Kasematte.«
»Wie ein Zuckerbäckerschloß zu
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