Der Junge
Eddie jetzt noch hoffen, wo er wieder in Ida’s Valley ist, in Schande entlassen?
»Was wird Eddie wohl jetzt machen?« fragt er seine Mutter.
»Bestimmt ist er in einer Besserungsanstalt.«
»Wieso?«
»Solche Leute enden immer in einer Besserungsanstalt, und dann im Gefängnis.«
Er versteht ihre Verbitterung Eddie gegenüber nicht. Er begreift diese bitteren Stimmungen von ihr nicht, wenn sie fast wahllos über alles mögliche herzieht – über Farbige, ihre eigenen Geschwister, über Bücher, die Schule, die Regierung.
Es interessiert ihn nicht wirklich, was sie von Eddie hält, solange sie nicht jeden Tag eine andere Meinung hat. Wenn sie sich so abfällig äußert, hat er ein Gefühl, als gebe der Boden unter seinen Füßen nach und er falle.
Er denkt an Eddie in seinem alten Blazer, wie er sich duckt, um dem Regen zu entgehen, der immer fällt in Ida’s Valley, und dabei mit den älteren farbigen Jungen Kippen raucht. Er ist zehn, und Eddie, in Ida’s Valley, ist zehn. Ein Weilchen wird Eddie elf sein, während er noch zehn ist; dann wird er auch elf sein. Er wird immer aufholen, eine Weile gleichaltrig mit Eddie sein, dann von ihm überholt werden. Wie lang wird das so gehen? Wird er Eddie je entkommen? Wenn sie sich eines Tages auf der Straße begegneten, würde dann Eddie, obwohl er inzwischen säuft und kifft, obwohl er im Gefängnis war und hart geworden ist, ihn erkennen, stehenbleiben und rufen: »Jou moer!«?
In diesem Augenblick weiß er, daß Eddie in dem undichten Haus in Ida’s Valley, zusammengerollt unter einer stinkenden Decke, immer noch in seinem Blazer, an ihn denkt. Im Dunkeln sind Eddies Augen zwei gelbe Schlitze. Eins weiß er sicher: Eddie wird kein Mitleid mit ihm haben.
Elf
Über den Kreis der Verwandtschaft hinaus haben sie wenig gesellschaftliche Kontakte. Wenn gelegentlich Fremde ins Haus kommen, huschen er und sein Bruder davon wie wilde Tiere, dann schleichen sie zurück, um hinter Türen zu lauern und zu lauschen. Sie haben auch Gucklöcher in die Decke gebohrt, so daß sie auf den Dachboden klettern und von oben ins Wohnzimmer spähen können. Ihrer Mutter ist das Geraschel peinlich. »Das sind nur die Kinder, die spielen«, erklärt sie mit einem gequälten Lächeln.
Er flieht vor höflichen Gesprächen, weil ihn die Floskeln – »Wie geht’s?« – »Macht dir die Schule Spaß?« – verlegen machen. Da er nicht so recht weiß, was er darauf antworten soll, nuschelt und stottert er töricht herum. Doch letzten Endes schämt er sich seines ungehobelten Benehmens nicht, seiner Ungeduld mit dem langatmigen Geschwafel der artigen Unterhaltung.
»Kannst du dich nicht einfach normal benehmen?« fragt seine Mutter.
»Ich hasse normale Leute«, antwortet er leidenschaftlich.
»Ich hasse normale Leute«, plappert ihm der Bruder nach.
Der Bruder ist sieben. Er lächelt permanent verkrampft und nervös; in der Schule übergibt er sich manchmal aus keinem ersichtlichen Grund und muß nach Hause gebracht werden.
An Stelle von Freunden haben sie Familie. Die Verwandten mütterlicherseits sind die einzigen Menschen, die ihn mehr oder weniger so akzeptieren, wie er ist. Sie akzeptieren ihn – grob, ungeschliffen, seltsam – nicht nur, weil sie sonst nicht zu Besuch kommen könnten, sondern weil auch sie ungehobelt und grob erzogen worden sind. Die Verwandten väterlicherseits sind jedoch nicht einverstanden mit ihm und seiner Erziehung durch die Mutter. In ihrer Gegenwart fühlt er sich gehemmt; sobald er entwischen kann, verspottet er die höflichen Floskeln (»En hoe gaan dit met jou mammie? En met jou broer? Dis goed, dis goed!« Wie geht’s der Mama? Dem Bruder? Gut!). Aber man kann dem nicht entgehen – kein Besuch auf der Farm, ohne an ihren Ritualen teilzunehmen.
Deshalb gibt er nach und windet sich vor Verlegenheit, verachtet sich wegen seiner Feigheit. »Dit gaan goed«, sagt er.
»Dit gaan goed met ons almal.« Uns geht’s allen gut.
Er weiß, daß sein Vater sich mit seiner Familie gegen ihn verbündet. Das ist eine der Methoden des Vaters, es der Mutter heimzuzahlen. Der Gedanke, welches Leben er führen müßte, wenn der Vater dem Haushalt vorstünde, läßt ihn frösteln – ein Leben voll langweiliger, dummer Floskeln, nicht zu unterscheiden von dem aller anderen. Seine Mutter ist die einzige, die zwischen ihm und einer für ihn unerträglichen Lebensweise steht. Deshalb ärgert er sich zwar über
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