Der Junge
sie wegen ihrer Langsamkeit und Beschränktheit, doch gleichzeitig klammert er sich an sie als seine einzige Beschützerin. Er ist ihr Sohn, nicht der Sohn seines Vaters. Er lehnt den Vater ab und verabscheut ihn. Nie wird er den Tag vor zwei Jahren vergessen, als die Mutter zum ersten und einzigen Mal den Vater auf ihn losließ, wie einen Hund von der Kette (»ich habe genug, ich halte es nicht mehr aus!«), und die Augen des Vaters ihn zornig blau anstarrten, als er ihn schüttelte und ihm eins hinter die Ohren gab.
Er muß zur Farm, weil es keinen Ort auf der Welt gibt, den er mehr liebt oder den er sich vorstellen kann, mehr zu lieben.
Alles was an seiner Liebe zur Mutter kompliziert ist, bei seiner Liebe zur Farm ist es unkompliziert. Doch soweit er zurückdenken kann, mischte sich in diese Liebe eine Spur Schmerz. Er darf die Farm besuchen, aber er wird nie dort leben. Die Farm ist nicht sein Zuhause; er wird nie mehr als ein Gast sein, ein unsicherer Gast. Schon jetzt bewegen sich die Farm und er, Tag für Tag, in unterschiedliche Richtungen, streben auseinander, kommen sich nicht näher, sondern entfernen sich voneinander. Eines Tages wird die Farm ganz verschwunden sein, ganz verloren; er trauert jetzt schon um den Verlust.
Die Farm gehörte einmal seinem Großvater, aber der Großvater starb und vermachte sie Onkel Son, dem ältesten Bruder des Vaters. Son hatte als einziger eine Neigung zur Landwirtschaft; die übrigen Geschwister flüchteten nur zu gern in die Städte und Großstädte. Trotzdem ist die Farm, auf der sie aufgewachsen sind, in gewissem Sinne noch ihre Farm.
Also fährt sein Vater wenigstens einmal im Jahr, und manchmal zweimal, auf die Farm und nimmt ihn mit.
Die Farm heißt Voelfontein, Vogelquelle; er liebt jeden Stein dort, jeden Busch, jeden Grashalm, er liebt die Vögel, nach denen sie benannt ist, Vögel, die sich bei Anbruch der Dämmerung zu Tausenden in den Bäumen um die Quelle sammeln, einander Rufe zusenden, leise gurren, ihr Gefieder ordnen, sich für die Nacht vorbereiten. Kaum vorstellbar, daß ein anderer die Farm genauso lieben könnte wie er. Aber er kann über seine Liebe nicht sprechen, nicht nur weil normale Leute über so etwas nicht reden, sondern weil es auch einem Verrat an seiner Mutter gleichkäme, wenn er es gestehen würde. Es wäre nicht nur ein Verrat, weil sie ebenfalls von einer Farm kommt, einer rivalisierenden Farm weit weg von hier, von der wiederum sie mit Liebe und Sehnsucht spricht und die sie nie wieder besuchen kann, da sie an Fremde verkauft worden ist, sondern auch weil sie auf dieser Farm, der wahren Farm, Voelfontein, nicht wirklich willkommen ist.
Warum das so ist, erklärt sie nie – wofür er am Ende dankbar ist –, aber allmählich kann er die Geschichte rekonstruieren.
Während des Krieges hat seine Mutter lange Zeit mit ihren beiden Kindern in einem einzigen gemieteten Zimmer in der Stadt Prince Albert gewohnt und mußte mit sechs Pfund monatlich, die der Vater von seinem Sold überwies, plus zwei Pfund aus dem Notfonds des Generalgouverneurs, über die Runden kommen. Während dieser Zeit wurden sie nicht ein einziges Mal auf die Farm eingeladen, obwohl sie nur zwei Wegstunden entfernt lag. Diesen Teil der Geschichte kennt er, weil sogar der Vater, als er aus dem Krieg heimkehrte, verärgert war und sich dafür schämte, wie man sie behandelt hatte.
Von der Stadt Prince Albert ist ihm nur noch im Gedächtnis geblieben, wie die Moskitos in den langen heißen Nächten sirrten und wie seine Mutter im Unterrock hin und her ging, Schweißperlen auf der Haut, die schweren, plumpen Beine von Krampfadern durchzogen, und versuchte, seinen kleinen Bruder zu beruhigen, der immerzu heulte; und er erinnert sich an Tage voll schrecklicher Langeweile hinter zum Schutz gegen die Sonne herabgelassenen Jalousien. So lebten sie, eingepfercht, für einen Umzug zu arm, und warteten auf die Einladung, die nie kam.
Die Mutter preßt immer noch die Lippen zusammen, wenn die Rede auf die Farm kommt. Trotzdem fährt sie zu Weihnachten mit auf die Farm. Die ganze Großfamilie versammelt sich. Betten und Matratzen und Notliegen sind in jedem Zimmer hergerichtet, auch auf der langen Veranda; zu einem Weihnachtsfest zählt er sechsundzwanzig. Den ganzen Tag lang schuften seine Tante und die beiden Mägde in der dampfigen Küche, sie kochen und backen und bereiten Mahlzeit um Mahlzeit zu, eine Runde Tee oder Kaffee und Kuchen nach
Weitere Kostenlose Bücher