Der Junge
meisten Lehrer bevorzugen. Statt dessen ist er kurz und dick, eher ein Knüppel oder Schlagstock als ein Rohrstock. Man munkelt, daß Mr. Lategan ihn nur bei älteren Schülern zum Einsatz bringt, daß ein jüngerer ihn nicht verkraften würde. Man munkelt, daß Mr. Lategan mit seinem Stock sogar angehende Studenten so weit gebracht hat, daß sie heulten und um Gnade flehten, sich in die Hosen machten und sich unsterblich blamierten.
Mr. Lategan ist ein kleiner Mann mit Igelschnitt und Schnurrbart. Ihm fehlt ein Daumen; den Stumpf schließt sauber eine dunkelrote Narbe ab. Mr. Lategan sagt fast nichts. Er ist immer in unnahbarer, gereizter Stimmung, als sei die Aufgabe, kleine Jungen bei Holzarbeiten zu betreuen, unter seiner Würde und als führe er sie nur widerwillig aus. Den größten Teil der Stunde steht er am Fenster und starrt in den Hof hinaus, während die Jungen sorgfältig messen und sägen und hobeln. Manchmal hat er den kurzen, dicken Stock dabei und schlägt müßig damit gegen sein Hosenbein, während er grübelt. Wenn er seine Inspektionsrunde macht, zeigt er verächtlich auf Mängel, dann geht er mit einem Schulterzucken weiter.
Die Jungen dürfen mit den Lehrern Scherze über deren Rohrstöcke austauschen. Das ist wirklich ein Gebiet, auf dem eine gewisse Frotzelei den Lehrern gegenüber gestattet ist. »Lassen Sie ihn singen, Sir!« sagen die Jungen, und Mr. Gouws macht eine blitzschnelle Handbewegung und sein langer Rohrstock (der längste der Schule, obwohl Mr. Gouws nur der Lehrer der fünften Klasse ist) pfeift durch die Luft.
Mit Mr. Lategan scherzt keiner. Man fürchtet sich vor Mr. Lategan und davor, was er Jungen, die fast Männer sind, mit seinem Stock antun kann.
Wenn der Vater zu Weihnachten auf der Farm mit seinen Brüdern zusammentrifft, kommt man immer auf die Schulzeit zu sprechen. Man schwelgt in Erinnerungen an die Lehrer und deren Rohrstöcke; man ruft sich kalte Wintermorgen ins Gedächtnis, wenn der Rohrstock blaue Schwielen auf den Hintern hervorrief und das Brennen noch tagelang zu spüren war. In ihren Worten schwingt Nostalgie und lustvolles Gruseln mit. Er hört begierig zu, verhält sich aber so unauffällig wie möglich. Er möchte nicht, daß sie sich ihm in einer Gesprächspause zuwenden und ihn nach der Rolle des Rohrstocks in seinem Leben fragen. Er ist nie verprügelt worden und schämt sich zutiefst dafür. Er kann nicht in der leichten und verständnisvollen Art über Rohrstöcke sprechen wie diese Männer.
Es kommt ihm so vor, als sei er beschädigt. Es kommt ihm vor, als sei in ihm die ganze Zeit über etwas am Zerreißen: eine Wand, eine Membran. Er versucht, sich so aufrecht wie möglich zu halten, um den Schaden zu begrenzen. Um ihn zu begrenzen, nicht um ihn zu verhindern: nichts wird ihn verhindern.
Einmal die Woche marschiert er mit seiner Klasse zum Sportunterricht über das Schulgelände in die Turnhalle. Im Umkleideraum ziehen sie weiße Turnhemden und -hosen an. Dann bringen sie unter der Anleitung von Mr. Barnard, der auch in Weiß gekleidet ist, eine halbe Stunde mit Sprüngen über das Seitpferd zu, werfen den Medizinball oder hüpfen und klatschen die Hände über dem Kopf zusammen.
Das alles geschieht barfuß. Schon Tage vorher hat er Angst davor, seine Füße für den Sportunterricht zu entblößen, seine Füße, die immer bekleidet sind. Doch wenn die Schuhe und Socken ausgezogen sind, ist es plötzlich überhaupt nicht schwer. Er muß einfach seine Scham loswerden, sich zügig und flott entkleiden, dann werden seine Füße wie die aller anderen. Irgendwo in der Nähe lauert noch die Scham und wartet darauf, wieder zu ihm zurückzukehren, doch es ist eine private Scham, von der die anderen Jungen nichts zu wissen brauchen.
Seine Füße sind weich und weiß; sonst sind sie wie die aller anderen, sogar wie die der Jungen, die keine Schuhe haben und barfuß zur Schule kommen. Der Sportunterricht und das Auskleiden dafür machen ihm keinen Spaß, doch er sagt sich, daß er es ertragen kann, wie er auch anderes erträgt.
Dann gibt es eines Tages eine Abwechslung von der Routine. Man schickt sie aus der Turnhalle auf die Tennisplätze, um ihnen Softball-Tennis beizubringen. Die Tennisplätze befinden sich etwas weiter weg; auf dem steinigen Weg muß er vorsichtig gehen. Der Asphalt des Platzes ist dann so heiß in der Sommersonne, daß er von einem Fuß auf den anderen hüpfen muß, damit er sich nicht verbrennt. Es
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